Deutsch-Französischer Informationsbrief | Herbst 2023

News Frankreich

  1. CORPORATE - Die Dividendenausschüttung außerhalb der Jahreshauptversammlung
  2. CORPORATE - Vereinfachung von Verwaltungsverfahren durch Abschaffung der Vorlage des Kbis und Einführung des Nationalen Unternehmensregisters im Rahmen des PACTE-Gesetzes
  3. HANDELSRECHT - Der Kassationsgerichtshof vereinheitlicht die Frist für die Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen bei versteckten Mängeln
  4. HANDELSRECHT – Das französische Oberste Verwaltungsgericht hebt das Verbot der Verwendung des Grünen Punkts auf und bestätigt seinerseits die Rechtmäßigkeit des Triman-Logos
  5. ARBEITSRECHT – Beibehaltung des Sozialversicherungssystems des Beschäftigungsstaates für grenzüberschreitend tätige Telearbeitnehmer
  6. ARBEITSRECHT - Anspruch auf bezahlten Urlaub während einer Krankschreibung
  7. ARBEITSRECHT - Anfechtung ärztlicher Gefälligkeitsbescheinigungen
  8. RECHTSSTREITIGKEITEN - Neue Maßnahmen zur gütlichen Streitbeilegung ab November 2023
  9. IMMOBILIENRECHT - Gewerbliche Mietverträge und öffentlich-rechtliche Abgaben
  10. IMMOBILIENRECHT - Der Anspruch auf Feststellung eines den gesetzlichen Vorschriften unterliegenden gewerblichen Mietvertrags unterliegt keiner Verjährung
  11. IMMOBILIENRECHT - Die Veräußerung eines Gewerbebetriebs, der einen gewerblichen Mietvertrag enthält, bedarf der Zustimmung des Vermieters
  12. UMWELTRECHT - Die sog. klassifizierten Anlagen zum Schutz der Umwelt im Rahmen gewerblicher Mietverträge
  13. GESUNDHEITSRECHT – Die Zulässigkeit von Abonnements für nicht erstattungsfähige ärztliche Telekonsultationen
  14. DATENSCHUTZ - Überblick über die jüngsten Entscheidungen der französischen Aufsichtsbehörde für den Schutz personenbezogener Daten (CNIL)
  15. DATENSCHUTZ - Personenbezogene Daten: Ein neuer Rechtsrahmen für die Übermittlung von personenbezogenen Daten in die USA
  16. NEUE TECHNOLOGIEN UND IMPACT-PROJEKTE – Aktueller Stand der EU-Verordnung über künstliche Intelligenz (AI Act)
  17. NEUE TECHNOLOGIEN UND IMPACT-PROJEKTE – Von Natur aus vereinbar? Zwischen Bitcoin und ESG-Kriterien
  18. GESUNDHEITSRECHT – Auswirkungen des Gesetzes über Influencer auf Unternehmen im Gesundheitssektor

News Frankreich

CORPORATE - Die Dividendenausschüttung außerhalb der Jahreshauptversammlung

Mit seinem Urteil vom 23. September 2022 stellt das Handelsgericht Paris die gängige Geschäftspraxis von Dividendenausschüttungen außerhalb der Jahreshauptversammlung in Frage. Mit Spannung wird erwartet, welche Position das Berufungsgericht in Paris oder, im Falle einer Kassationsbeschwerde, der Kassationsgerichtshof einnehmen wird.

Dividendenausschüttungen gehören zur gängigen Geschäftspraxis und resultieren aus dem Jahresabschluss. Sie basieren auf dem Gewinnvortrag, ausschüttungsfähigen Reserven aus den Vorjahren oder dem Jahresgewinn des letzten Geschäftsjahres. Einer ordentlichen Dividendenausschüttung liegt immer die ordentlichen Jahreshauptversammlung zugrunde. Bei dieser wird sowohl der Geschäftsbericht und der Jahresabschluss genehmigt als auch über die Gewinnverwendung beschlossen, wobei der Gewinn gegebenenfalls als Dividende ausgeschüttet wird.

Doch auch außerordentliche Dividendenausschüttungen, auch Zwischendividenden genannt, sind gängige Praxis. Im französischen Gesellschaftsrecht versteht man hierunter Ausschüttungen, die nicht im Rahmen der ordentlichen Jahreshauptversammlung beschlossen werden und damit nicht direkt mit dem Ergebnis des vergangenen Geschäftsjahres zusammenhängen. Weiterhin fallen hierunter Ausschüttungen vom Gewinn- und Verlustvortrag sowie Prämien jeglicher Art.

Diese Praxis stützt sich auf die Artikel L.°232-11 Abs. 2 und L.°232-12 Abs. 1 des französischen Handelsgesetzbuches und wurde seither ausnahmslos von der französischen Rechtsprechung, der herrschenden Lehre, der französischen Nationalen Vereinigung der Wirtschaftsprüfer (CNCC), und in einer rechtlichen Stellungnahme des französischen Nationalen Verbands der Aktiengesellschaften (ANSA) bestätigt.

Umso überraschender ist es, dass das Handelsgericht Paris dieser Praxis den Riegel vorlegen zu wollen scheint, indem es in seiner Entscheidung vom 23. September 2022 wie folgt urteilte: „Es kann nicht ernsthaft behauptet werden, dass Artikel L.°232-11 Abs. 2 des Handelsgesetzbuchs in Ermangelung anderslautender Bestimmungen eine andere Art der Ausschüttung als die, die sich aus Artikel L.°232-12 ergibt, erlaubt und dass Gesellschaften im Stillschweigen der Gesetzestexte die Möglichkeit haben, frei Ausschüttungen aus den Rücklagen vorzunehmen.“ Eine solche Interpretation kann im Worst-Case-Szenario weitreichende Folgen haben, darunter die Nichtigkeit des entsprechenden Gesellschafterbeschlusses oder die straf- und zivilrechtliche Haftung der Geschäftsführer.

Problematisch ist an einer derartigen Auslegung durch das Pariser Handelsgerichts vor allem die Beeinträchtigung eines für die Rechtssicherheit zentralen Grundsatzes: „Was nicht verboten ist, ist erlaubt.“ Somit finden sich Gesellschaften bezüglich der außerordentlichen Dividendenausschüttungen in einer Situation der Ungewissheit wieder, welche wohl nicht in absehbarer Zeit beendet sein wird. Die Wellen, die das Urteil geschlagen hat, werden dieses mit hoher Wahrscheinlichkeit bis vor den Kassationsgerichtshof tragen.

Tipp von GGV: In der Zwischenzeit empfehlen wir Ihnen, das Urteil nicht überzubewerten. Zwar sollten Sie, wo möglich, eine ordentliche Dividendenausschüttung im Rahmen der Hauptversammlung zur Genehmigung des Jahresabschlusses bevorzugen. Unserer Meinung nach bleibt eine außerordentliche Dividendenausschüttung aber bis auf Weiteres möglich. Vorsichtshalber können Sie diese mit einem Zwischenbericht des Wirtschaftsprüfers verbinden.

CORPORATE - Vereinfachung von Verwaltungsverfahren durch Abschaffung der Vorlage des Kbis und Einführung des Nationalen Unternehmensregisters im Rahmen des PACTE-Gesetzes

Das Gesetz vom 22. Mai 2019 über das Wachstum und die Transformation der Unternehmen, das sogenannte PACTE-Gesetz, sieht mehrere Vereinfachungsmaßnahmen für Unternehmen vor. So ist die Vorlage eines sog. Kbis, also des französischen Handelsregisterauszugs, bei insgesamt 55 Verwaltungsverfahren nicht mehr erforderlich. Darüber hinaus tritt nun ein einziges Register, das Nationale Unternehmensregister (Registre National des Entreprises, RNE), an die Stelle mehrerer vorher bestehender Register.

Vereinfachung bestimmter Verwaltungsverfahren

Der Kbis-Auszug enthält als offizieller „Identitätsnachweis“ von Handelsgesellschaften neben der Firma u. a. auch den Sitz, die Höhe des Grund- bzw. Stammkapitals, die Mitglieder der Geschäftsleitung und den Namen des Abschlussprüfers. Für bestimmte Behördengänge ist die Vorlage eines aktuellen Kbis-Auszugs jedoch nunmehr entbehrlich. Stattdessen können die Behörden die entsprechenden Unternehmensinformationen auf einer eigens hierfür eingerichteten Webseite abrufen.

Die von dieser Reform betroffenen Verwaltungsverfahren betreffen nicht nur Erklärungen bzw. Meldungen, Zulassungen oder Genehmigungen, sondern erstrecken sich auch auf verschiedene Sektoren wie beispielsweise Energieerzeugnisse, Stadtplanung, Bauarbeiten von öffentlichem Interesse, Landwirtschaft, Transport, Insolvenzverfahren, Genehmigungen für die kommerzielle Nutzung oder das geistige Eigentum.

Zu den 55 Verwaltungsverfahren, für die die Vorlage eines Kbis-Auszugs bei der zuständigen Behörde nicht mehr erforderlich ist, gehören unter anderem:

  • Bewerbungen im Rahmen öffentlicher Aufträge,
  • Anträge auf Eröffnung von Schlichtungsverfahren an den Gerichtspräsidenten,
  • Anträge auf Genehmigung zur kommerziellen Nutzung,
  • Anträge auf Genehmigung zur Eröffnung von Einzelhandelsgeschäften,
  • Beantragung von Gewerbe- bzw. Berufsausweisen (Immobilienmakler, Vermögensverwalter usw.),
  • Verpflichtung von Trägern von Projekten für Infrastrukturnetze, die für das Aufladen von Elektro- oder Plug-in-Hybridfahrzeugen im öffentlichen Raum erforderlich sind, einen Antrag auf Genehmigung des Projekts an den für die Industrie zuständigen Minister zu richten.

Eine detaillierte Liste der betroffenen Verwaltungsverfahren finden Sie hier.

Handwerker und Freiberufler sind von diesen Bestimmungen des PACTE-Gesetzes nicht betroffen, da sie keiner Handelstätigkeit nachgehen und es daher für sie von vornherein keinen Kbis-Auszug gibt. Sie müssen für behördliche Schritte lediglich ihre neunstellige SIREN-Nummer angeben.

Einführung des Nationalen Unternehmensregisters (RNE)

Seit dem 1. Januar 2023 sind das Handels- und Gesellschaftsregister (Registre du Commerce et des Sociétés), die Handwerksrolle (Répertoire des Métiers) und das Landwirtschaftsregister (Registre des Actifs Agricoles) in einem einzigen digitalen Register zusammengefasst. Diese Fusion betrifft also im Gegensatz zu der oben beschriebenen Vereinfachung von Verwaltungsverfahren nicht nur Handelsgesellschaften, sondern auch alle Tätigkeiten handwerklicher, landwirtschaftlicher oder selbstständiger Natur.

Für die Einspeisung und Aktualisierung des Nationalen Unternehmensregisters ist ausschließlich das Nationale Amt für geistiges Eigentum (INPI) zuständig. Dieses wird mit den Daten der Zentralstelle für Formalitäten (Guichet Unique des formalités d’entreprises) versorgt. Denn die von den Nutzern (Anwälte, Unternehmen) bei der Durchführung ihrer Formalitäten eingegebenen Daten werden automatisch an das RNE übermittelt. Bei bestimmten Handels- und Handwerksunternehmen erfolgt jedoch eine vorherige Kontrolle und Validierung der beim Guichet Unique hinterlegten Daten durch das zuständige Handelsgericht.

Das Nationale Unternehmensregister kann von jedermann eingesehen werden, mit Ausnahme bestimmter personenbezogener Daten.

HANDELSRECHT - Der Kassationsgerichtshof vereinheitlicht die Frist für die Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen bei versteckten Mängeln

In vier Urteilen vom 21. Juli 2023 bietet die Gemischte Kammer des Kassationsgerichtshofs willkommene Klarstellungen zur Dauer der Klagefrist für die Gewährleistung versteckter Mängel (unseren früheren Artikel zu diesem Thema finden Sie hier).

Cass. Ch. Mixte, 21 juillet 2023, Nr. 21-15.809, 21-17.789, 21-19.936, 20-10.763

Verjährungsfrist von 2 Jahren ab Entdeckung des Mangels

Die Diskussion betraf die Natur der besonderen zweijährigen Klagefrist für versteckte Mängel, die ab der Entdeckung des Mangels durch den Käufer zu laufen beginnt (Artikel 1648 des französischen Zivilgesetzbuchs).

Nimmt man an, dass es sich bei dieser Frist um eine Ausschlussfrist handelt, unterliegt sie keiner Unterbrechung. Das bedeutet, dass die Klagefrist bei Anordnung einer Beweisaufnahme nicht unterbrochen wird, sondern weiterläuft. Sieht man die Frist hingegen als Verjährungsfrist an, kann sie während der Dauer der Beweisaufnahme unterbrochen werden.

Der Kassationsgerichtshof berücksichtigte in seinen Erwägungen den Zweck sowohl des Gesetzes als auch dieser Klage. Dieser besteht darin, es dem Käufer zu ermöglichen, eine Klage gegen den Verkäufer und/oder den Hersteller einzureichen. Daraus folgerte er, dass die zweijährige Klagefrist eine Verjährungsfrist ist, die unterbrochen werden kann.

Ausschlussfrist von 20 Jahren ab Verkaufsdatum

Seit 2018 ging die Rechtsprechung mehrheitlich davon aus, dass die Ausschlussfrist 5 Jahre nach dem Zeitpunkt des Verkaufs betrug. Nunmehr stellt der Kassationsgerichtshof klar, dass für die Klage auf Gewährleistung für versteckte Mängel eine Ausschlussfrist von 20 Jahren gilt, die nach dem von der auf Gewährleistung in Anspruch genommenen Partei abgeschlossenen Verkauf zu laufen beginnt (Artikel 2232 des französischen Zivilgesetzbuchs).

Die Klagefrist wird also auf 20 Jahre nach dem Verkauf ausgeweitet, wodurch ein Interessenausgleich zwischen den verschiedenen Interessen auf Verkäufer-, Hersteller- und Käuferseite gewährleistet werden soll.

Eine willkommene Klarstellung für die Klagen von Herstellern gegenüber ihren Zulieferern

Diese doppelte Klagefrist gilt sowohl für Verkäufe von beweglichen Sachen oder Immobilien als auch für einfache Kaufvertragsgestaltungen und Vertragsketten.

Diese doppelte Frist ist von besonderem Interesse für Klagen von Herstellern gegen ihre Lieferanten.

Der Hersteller erfährt nämlich erst dann von möglichen versteckten Mängeln der vor der Übergabe des Gebäudes gekauften Materialien, nachdem ihn die  Baufirma verklagt hat. Nun haftet er gegenüber der Baufirma innerhalb von zehn Jahren nach der Übergabe des Gebäudes im Rahmen seiner zehnjährigen Haftung. Wäre die Frist für die Klage auf Gewährleistung für versteckte Mängel eine Ausschlussfrist, liefe der Hersteller Gefahr, keinen wirksamen Rückgriff gegen seine Lieferanten zu haben.

Jetzt kann der Hersteller, der von seinem Bauherrn innerhalb von 10 Jahren nach der Übergabe des Gebäudes verklagt wird, seinen Lieferanten innerhalb von 2 Jahren nach Zustellung der Klage durch den Bauherrn rechtsgültig haftbar machen.

HANDELSRECHT – Das französische Oberste Verwaltungsgericht hebt das Verbot der Verwendung des Grünen Punkts auf und bestätigt seinerseits die Rechtmäßigkeit des Triman-Logos

Das Oberste Verwaltungsgericht (Conseil d’Etat) hat zwei Entscheidungen getroffen, die jedoch nicht von der Notwendigkeit ablenken sollten, die geltenden gesetzlichen Bestimmungen einzuhalten.

Das Gesetz gegen Verschwendung und zur Förderung einer Kreislaufwirtschaft Nr. 2020-105 vom 10. Februar 2020 (AGEC-Gesetz) hat den Weg für ein De-facto-Verbot von Kennzeichnungen und Etikettierungen geebnet, die geeignet sind, bei Verbrauchern hinsichtlich der für Produkte geltenden Mülltrennungs- oder  Müllabgaberegel für Verwirrung zu sorgen. In Anwendung dieser Bestimmung wurde durch Erlasse vom 30. November und 25. Dezember 2020 implizit das bekannte Logo Der Grüne Punkt verboten, das seitdem schrittweise von den Verpackungen in Frankreich verschwunden ist. Das Grüne-Punkt-Logo, wie es in Frankreich verwendet wurde, wies nämlich nicht auf die Recycelbarkeit der Verpackung oder deren Herstellung aus recyceltem Material hin, sondern nur, dass der Hersteller einen Beitrag für die Abfallbehandlung gezahlt hatte. Der Verbotserlass wurde zuerst vom Obersten Verwaltungsgericht am 15. März 2021 durch eine einstweilige Anordnung ausgesetzt. Mit einer neuen, auf Antrag ergangenen Entscheidung vom 30. Juni 2023, die u. a. von der Firma Der Grüne Punkt Duales System Deutschland GmbH erwirkt wurde, hob das Oberste Verwaltungsgericht den Erlass nun endgültig auf. Damit ist die Verwendung des Grünen Punkts auf Verpackungen in Frankreich wieder rechtmäßig. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Regierung einen neuen Erlass auf den Weg bringt, der den Grünen Punkt faktisch verbietet, zumal die Erlasse von 2020 aus formalen Gründen für nichtig erklärt wurden.

Tipp von GGV: Die Reaktion der Regierung bleibt abzuwarten. Bis dahin ist es ratsam, Verpackungen, die in Frankreich vermarktet werden, nicht mit dem Grünen Punkt zu versehen.

Mit einer weiteren Entscheidung vom 21. April 2023 hat das Oberste Verwaltungsgericht auch die Rechtmäßigkeit und die seiner Ansicht nach bestehende Übereinstimmung des Durchführungsdekrets zum Triman-Logo sowohl mit dem europäischem als auch mit dem Vertragsrecht bestätigt. Letzteres war ebenfalls durch das AGEC-Gesetz eingeführt worden. Das Triman-Logo war auch Gegenstand eines Aufforderungsschreibens der Europäischen Kommission, das bereits in einem unserer früheren Artikel Erwähnung fand. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen.

Tipp von GGV: In der Zwischenzeit sollten die Bestimmungen zum Triman-Logo für in Frankreich vermarktete Produkte weiterhin beachtet werden.

ARBEITSRECHT – Beibehaltung des Sozialversicherungssystems des Beschäftigungsstaates für grenzüberschreitend tätige Telearbeitnehmer

Der Übergangszeitraum, in dem die Auswirkungen der grenzüberschreitenden Telearbeit auf die Sozialgesetzgebung, die für Arbeitnehmer gilt, die einen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit als Telearbeiter in ihrem Wohnsitzstaat ausüben, neutralisiert werden konnten, endete am 30.03.2023. Nach Beratungen zwischen den Mitgliedstaaten wurde eine von den europäischen Verordnungen abweichende Rahmenvereinbarung, die auf der Grundlage von Artikel 16 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 getroffen wurde, mit Wirkung vom 01.07.2023 für eine Dauer von zunächst fünf Jahren eingeführt. Diese Vereinbarung ermöglicht die Beibehaltung des Sozialversicherungssystems des Beschäftigungsstaates für grenzüberschreitend tätige Arbeitnehmer, die mehr als 25 % und weniger als 50 % ihrer Zeit in ihrem Wohnsitzstaat telearbeiten. Sie ist heute in 19 europäischen Staaten, darunter Frankreich und Deutschland, in Kraft.

Artikel 13 Abs. 1 a) der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 sieht die Anwendung der Bestimmungen über die soziale Sicherheit des Wohnmitgliedstaats vor, wenn der Arbeitnehmer einen wesentlichen Teil seiner Tätigkeit in diesem Staat und den Rest seiner Tätigkeit in einem anderen Staat ausübt. Aus Artikel 14 Abs. 8 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 geht hervor, dass der Arbeitnehmer einen wesentlichen Teil seiner Tätigkeit im Wohnsitzstaat ausübt, wenn auf diesen mindestens 25% seiner Arbeitszeit entfallen.

Die Rahmenvereinbarung ermöglicht es, zugunsten von Telearbeitern von diesen Regeln abzuweichen, sofern der Anteil der im Wohnsitzstaat geleisteten Telearbeit weniger als 50 % der Arbeitszeit beträgt und der Wohnsitzstaat des Arbeitnehmers und der Staat, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat, die Rahmenvereinbarung unterzeichnet haben.

Eine solche Ausnahme kann nur für einen Arbeitnehmer beantragt werden, der lediglich einen einzigen Arbeitgeber hat bzw. dessen Arbeitgeber ihren Sitz in demselben Mitgliedstaat haben. Selbstständige könne diese Ausnahme nicht in Anspruch nehmen.

Die Rahmenvereinbarung hat auch ein vereinfachtes Verfahren für die Anwendung von Artikel 16 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 geschaffen, das vom Arbeitgeber mit dem Einverständnis des betroffenen Arbeitnehmers eingeleitet werden muss.

Der Antrag auf eine Ausnahmegenehmigung muss an die zuständige Stelle des Staates gerichtet werden, in dem der Arbeitgeber ansässig ist. Wenn die Bedingungen erfüllt sind, stellt diese Stelle anschließend eine A1-Bescheinigung aus, welche die weitere Anwendbarkeit der Bestimmungen über die Soziale Sicherheit bestätigt. Die Ausnahme kann für eine Dauer von bis zu drei Jahren gewährt werden. Verlängerungen sind möglich.

Wir erinnern daran, dass die Bescheinigung A1 für die Behörden und Gerichte des Mitgliedstaates, in dem der Arbeitnehmer seine Tätigkeit ausübt, so lange bindend ist, wie sie nicht von der ausstellenden Stelle zurückgenommen oder für ungültig erklärt wird.

Tipp von GGV: Wenn Sie Arbeitnehmer beschäftigen, die ihre Aufgaben gewöhnlich in grenzüberschreitender Telearbeit ausüben, empfehlen wir Ihnen, deren Situation gemeinsam zu prüfen, um festzustellen, ob es angezeigt ist, die Ausstellung einer A1-Bescheinigung auf der Grundlage des Rahmenabkommens zu beantragen.

ARBEITSRECHT - Anspruch auf bezahlten Urlaub während einer Krankschreibung

Mit mehreren Urteilen vom 13. September 2023 hat die Sozialkammer des Kassationsgerichtshofs das französische Recht in Bezug auf bezahlten Urlaub mit dem europäischen Recht in Einklang gebracht und damit die Rechte von Arbeitnehmern auf bezahlten Urlaub während ihrer gesundheitsbedingten Abwesenheitszeiten gestärkt.

Cass. Soc. Nr. 22-17.340, 13.09.2023; Cass. Soc. Nr. 22-17.638, 13.09.2023; Cass. Soc. Nr. 22-10.529, 13.09.2023

Bisher ging aus den Artikeln L. 3141-3 und L. 3141-5 des französischen Arbeitsgesetzbuchs (Code du travail) hervor, dass ein Arbeitnehmer keinen Anspruch auf bezahlte Urlaubstage erwerben konnte, wenn er aufgrund einer nicht berufsbedingten Krankheit arbeitsunfähig war oder die Abwesenheit infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit länger als ein Jahr betrug.

Die europäische Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG vom 4. November 2003 sieht allerdings vor, dass jeder Arbeitnehmer Anspruch auf einen bezahlten Jahresurlaub von mindestens vier Wochen hat. In Anwendung dieser Richtlinie entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass der bezahlte Urlaub eines Arbeitnehmers, der aus gesundheitlichen Gründen ausfällt, nicht auf weniger als vier Wochen verkürzt werden darf, und zwar unabhängig von dem Grund oder der Dauer der krankheits- bzw. unfallbedingten Abwesenheit.

Um das französische Recht mit dem europäischen Recht in Einklang zu bringen, hat der Kassationsgerichtshof die oben genannten Bestimmungen des Code du travail unberücksichtigt gelassen und entschieden, dass Arbeitnehmer, die krankgeschrieben sind, in jedem Fall das Recht haben, während ihrer Abwesenheit bezahlte Urlaubstage zu erwerben. Zudem entschied das Gericht, dass im Falle eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit der Erwerb von Urlaubstagen nicht mehr auf das erste Jahr der Abwesenheit beschränkt werden darf. Der Arbeitnehmer erwirbt also während der gesamten Dauer seiner Arbeitsunfähigkeit weiterhin Urlaubsansprüche.

Darüber hinaus hat der Kassationsgerichtshof klargestellt, dass die Verjährung des Anspruchs auf bezahlten Urlaub erst dann beginnt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nach dessen Genesung in die Lage versetzt hat, seinen Anspruch auf bezahlten Urlaub geltend zu machen.

Tipp von GVV: Informieren Sie Ihre Arbeitnehmer bei Wiederaufnahme der Arbeit über den Anspruch auf bezahlten Urlaub für die Zeit ihrer Abwesenheit, damit die gesetzliche Verjährungsfrist beginnt.

ARBEITSRECHT - Anfechtung ärztlicher Gefälligkeitsbescheinigungen

Ärzte haften für die Richtigkeit ihrer Atteste. Ärztliche Bescheinigung können angefochten werden, wenn sie unter Verletzung des Berufsrechts für Ärzte und des Gesetzbuchs über das öffentliche Gesundheitswesen ausgestellt wurden.

Es kommt häufig vor, dass ein Arbeitnehmer, der sich über Mobbing oder psychische Leiden am Arbeitsplatz beschwert, dem Arbeitsgericht eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung oder ein ärztliches Attest vorlegt, wonach er an einem Angst- und Depressionssyndrom „im Zusammenhang mit seiner Beschäftigung“ oder „in Verbindung mit Schwierigkeiten am Arbeitsplatz“ leidet.

Durch die Ausstellung einer solchen Bescheinigung oder einem solchen Attests bescheinigt bzw. bestätigt der Arzt, dass der Gesundheitszustand seines Patienten mit dessen Arbeitsbedingungen zusammenhängt. In den meisten Fällen hat er jedoch weder die Arbeitsbedingungen seines Patienten noch einen Zusammenhang zwischen den Arbeitsbedingungen und dem Gesundheitszustand selbst festgestellt.

Dadurch verstößt der Arzt gegen seine berufsrechtlichen Pflichten und die Bestimmungen des Gesetzbuches über das öffentliche Gesundheitswesen. Diese verbieten die Ausstellung von Gefälligkeitsbescheinigungen und verpflichten Ärzte, bei der Ausstellung von Bescheinigungen oder Attesten lediglich diejenigen medizinischen Feststellungen zu berücksichtigen, zu denen sie selbst in der Lage sind, und nur das zu bescheinigen, was sie persönlich festgestellt haben.

Wird eine Gefälligkeitsbescheinigung vorgelegt, kann der Arbeitgeber die Bescheinigung bei der Ärztekammer des Departements anfechten, bei der der Arzt Mitglied ist. Die Ärztekammer wird dann den Arzt und den Arbeitgeber zu einer Schlichtungssitzung laden, die in der Regel zu einer Berichtigung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bzw. des Attestes und damit zu einer Schlichtung führt.

Das Hauptinteresse an der Einleitung eines solchen Verfahrens besteht also darin, die Berichtigung der irreführenden Bescheinigung zu erwirken, die der Arbeitnehmer zum Nachweis seiner Ansprüche vorgelegt hat.

Auf diese Weise können auch irreführende medizinische Angaben angefochten werden, die zur Unterstützung eines Antrags auf Anerkennung eines Burnouts als Berufskrankheit gemacht werden.

Erkennt der Sozialversicherungsträger eine solche Erkrankung als Berufskrankheit an, hat dies mehrere Konsequenzen:

  • Die Anerkennung als Berufskrankheit ist dazu geeignet, das Arbeitsgericht davon zu überzeugen, dass das vom Arbeitnehmer behauptete Mobbing oder psychische Leiden am Arbeitsplatz dem Arbeitgeber zuzurechnen ist.
  • Sie führt zu einer Erhöhung des Satzes der Beiträge zur Unfallversicherung, die der Arbeitgeber monatlich abführen muss.
  • Der Arbeitnehmer kann einen sogenannten unentschuldbaren Fehler des Arbeitgebers geltend machen und gegen diesen Klage mit dem Ziel seiner Verurteilung zur Zahlung von Schadensersatz erheben. Im Rahmen dieser Klage kann der Arbeitnehmer außerdem die Verurteilung zur Zahlung einer höheren Rente durch die Unfallversicherung beantragen, was im Falle der Verurteilung zu einer Erhöhung der Unfallversicherungsbeiträge führt.

Tipp von GGV:  Aufgrund der hohen finanziellen Risiken empfiehlt GGV Avocats – Rechtsanwälte Arbeitgebern, ärztliche Gefälligkeitsbescheinigungen systematisch anzufechten.

RECHTSSTREITIGKEITEN - Neue Maßnahmen zur gütlichen Streitbeilegung ab November 2023

Dekret Nr. 2023-686 vom 29.07.2023 über Maßnahmen zur Förderung der gütlichen Streitbeilegung vor dem erstinstanzlichen Gericht (tribunal judiciaire)

Ab dem 01.11.2023 treten zwei neue Verfahren zur gütlichen Streitbeilegung in Kraft: die Güteverhandlung und die Prozesstrennung.

Für alle ab dem 01.11.2023 eingereichte Klagen hat das erstinstanzliche Gericht die Möglichkeit, den Parteien die Anwendung eines dieser beiden Verfahren vorzuschlagen, sowohl in der Hauptsache als auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren. Ziel hierbei ist eine gütliche Streitbeilegung.

Güteverhandlung

Ab dem 01.11.2023 kann der für die Vorbereitung des Verfahrens zuständige Richter oder Präsident des erstinstanzlichen Gerichts anordnen, die Parteien zu einer Güteverhandlung zu laden. Dies geschieht entweder auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen und nachdem er die Stellungnahmen der Parteien eingeholt hat (Art. 774-1 f. frz. Zivilprozessordnung).

Diese Entscheidung erfolgt in Form eines Justizverwaltungsakts und ist daher nicht anfechtbar.

Die Parteien sind verpflichtet, zur Güteverhandlung persönlich zu erscheinen. Handelt es sich um ein dem Anwaltszwang unterliegendes Verfahren, ist außerdem die Anwesenheit der Rechtsanwälte erforderlich.

Der für die Güteverhandlung zuständige Richter kann den Ablauf der mündlichen Verhandlung formal frei gestalten: So kann er beispielsweise die Anträge und Schriftsätze der Parteien zur Kenntnis nehmen oder die Parteien gemeinsam oder getrennt anhören.

Die Verhandlung ist nicht öffentlich. Alle mündlichen und schriftlichen Äußerungen sind vertraulich.

Nach der Anhörung kann der für die Güteverhandlung zuständige Richter auf Antrag der Parteien die teilweise oder vollständige Einigung der Parteien feststellen; er ist jedoch nicht befugt, die erzielte Einigung gerichtlich zu bestätigen. Er wird den Richter, der mit dem Rechtsstreit befasst ist, durch Übermittlung des Verhandlungsprotokolls über den Abschluss der Güteverhandlung unterrichten.

Konnte keine Einigung erzielt werden, kann der für die Güteverhandlung zuständige Richter das Güteverfahren vorzeitig beenden.

Der für das Güteverfahren zuständige Richter gehört später nicht mehr dem für das endgültige Urteil zuständigen Spruchkörper an.

Prozesstrennung

Bei der Einführung dieses Mechanismus hat sich das französische Justizministerium vom deutschen Gerichtssystem inspirieren lassen. Ab dem 01.11.2023 kann das Gericht anordnen, dass mehrere in einer Klage erhobenen Ansprüche in getrennten Prozessen verhandelt werden, und zunächst nur über einige der Ansprüche der Parteien entschieden werden soll (Art. 807-1 frz. Zivilprozessordnung).

Die Prozesstrennung ist nur auf Antrag aller Verfahrensparteien möglich. Die Parteien müssen sich auf die Ansprüche einigen, über die das Gericht in der Hauptsache entscheiden soll und dem Gericht ein von Anwälten gegengezeichnetes Schriftstück vorlegen, in dem die Ansprüche aufgeführt sind, die Gegenstand eines Teilurteils sein sollen. Hält das Gericht diesen Antrag für begründet, ordnet er den teilweisen Abschluss des Verfahrens an und verweist den Fall zur Entscheidung in der Hauptsache über die Ansprüche, die Gegenstand der Prozesstrennung sind, an das für die Hauptsache zuständige Gericht zurück. Das Teilurteil ist nicht von Rechts wegen vorläufig vollstreckbar und anfechtbar (Art. 807-3 frz. Zivilprozessordnung).

Eine Prozesstrennung soll es den Parteien ermöglichen, eine gütliche Einigung über die Ansprüche zu finden, die vom Gericht nicht entschieden wurden. Der Justizminister hat dies in einem Rundschreiben vom 17.10.2023 zur Umsetzung des Dekrets ausdrücklich in Erinnerung gerufen.

Zum Beispiel kann das Gericht bei einem Rechtsstreit über die vertragliche Haftung eines Vertragspartners zunächst nur über die Frage dessen Haftung entscheiden. Stellt das Gericht fest, dass eine Haftung gegeben ist, können die Parteien versuchen, den Streit über die Höhe des Schadenersatzes gütlich beizulegen.

GGV informiert: Diese beiden Mechanismen sind derzeit auf Streitigkeiten vor erstinstanzlichen Gerichten (tribunaux judiciaires) beschränkt. Daher können die Parteien in einem Verfahren vor dem Handelsgericht keine Güteverhandlung oder Prozesstrennung beantragen. Die Parteien können jedoch immer noch in ihrem Vertrag vorsehen, vor einer Klageerhebung zu versuchen, sich im Wege einer Mediation oder einer vom Gericht auf den Weg gebrauchten Schlichtung gütlich zu einigen. Die Parteien können auch eine Schiedsvereinbarung treffen und ein Schiedsgericht mit der Entscheidung ihrer Streitigkeiten beauftragen.

IMMOBILIENRECHT - Gewerbliche Mietverträge und öffentlich-rechtliche Abgaben

Der Kassationsgerichtshof bestätigte, dass öffentlich-rechtliche Abgaben nur auf den Mieter umgelegt werden können, wenn dies ausdrücklich vereinbart wurde.

In einem Urteil vom 25. Januar 2023 hatte das Berufungsgericht Douai festgestellt, dass die Klausel des Mietvertrags dem Mieter „alle Steuern und Abgaben für die gemieteten Räumlichkeiten und insbesondere die Müllabfuhrgebühr und die Grundsteuer in Abhängigkeit von der gemieteten Fläche“ auferlegte, und daraus abgeleitet, dass diese öffentlich-rechtlichen Abgaben dem Mieter in Ermangelung einer ausdrücklichen Vereinbarung nicht auferlegt werden können. Der Kassationsgerichtshof bestätigte das Urteil des Berufungsgerichts, da diese öffentlich-rechtlichen Abgaben in keinem Zusammenhang mit der Nutzung der Räumlichkeiten durch den Mieter stehen.

Tipp von GGV: Wenn Sie Vermieter sind, müssen Sie die Anlastung öffentlich-rechtlicher Abgaben an den Mieter ausdrücklich in Ihrem gewerblichen Mietvertrag regeln.

IMMOBILIENRECHT - Der Anspruch auf Feststellung eines den gesetzlichen Vorschriften unterliegenden gewerblichen Mietvertrags unterliegt keiner Verjährung

In einem Urteil vom 25.05.2023 hat der Kassationsgerichtshof eine wichtige Klarstellung zur Verjährung des Anspruchs auf Feststellung der Anwendung der gesetzlichen Vorschriften über gewerbliche Mietverträge vorgenommen. Das Urteil betrifft den Fall des Verbleibs des Mieters in den Räumlichkeiten nach Ablauf eines kurzfristigen Mietvertrags, der nicht den gesetzlichen Vorschriften über gewerbliche Mietverträge unterliegt.

Die Parteien eines Mietvertrags können die gesetzlichen Vorschriften über gewerbliche Mietverträge abbedingen. Jedoch darf ein solcher derogatorischer, also von den gesetzlichen Vorschriften abweichender Mietvertrag eine Laufzeit von höchstens drei Jahren haben (Art. L. 145-5 frz. Handelsgesetzbuch). Nach Ablauf dieser Frist können die Parteien die gesetzlichen Vorschriften über gewerbliche Mietverträge nicht mehr abbedingen.

Im vorliegenden Fall hatten die Parteien am 14.06.2004 einen ersten derogatorischen Mietvertrag für zwei Jahre abgeschlossen. Am 01.05.2006 schlossen sie dann einen neuen derogatorischen Vertrag ab, der am 30.09.2006 endete. Nach Ablauf dieses Vertrags blieb der Mieter in den Räumlichkeiten und wurde im Besitz belassen; während dieser Zeit zahlte er Miete. Erst ab dem 01.12.2016 verlangte der Vermieter vom Mieter die Zahlung einer Nutzungsentschädigung.

Der Mieter rief daraufhin das Gericht an, um feststellen zu lassen, dass der Mietvertrag den gesetzlichen Vorschriften über gewerbliche Mietverträge unterliegt. Der Vermieter argumentierte, dass der Anspruch auf Anwendung der gesetzlichen Vorschriften über gewerbliche Mietverträge nach fünf Jahren ab Beginn des derogatorischen Mietvertrags, d. h. im vorliegenden Fall seit dem 14.06.2009, verjährt sei.

Das Berufungsgericht gab dem Vermieter Recht und erklärte den Anspruch des Mieters für verjährt.

Der Kassationsgerichtshof hob das Urteil des Berufungsgerichts auf.

In seinem Urteil, entschied der Kassationsgerichtshof, dass der Anspruch auf Feststellung der Anwendung der gesetzlichen Vorschriften über gewerbliche Mietverträge, der dadurch entstanden ist, dass die Mietsache nach Ablauf eines derogatorischen Mietvertrags im Besitz des Mieters verbleibt, nicht verjährbar ist.

Verbleibt der Mieter nämlich ohne Widerspruch des Vermieters länger als einen Monat nach Ablauf des derogatorischen Mietvertrags in der Mietsache, kommt ein neuer Mietvertrag zustande, auf den die gesetzlichen Vorschriften über gewerbliche Mietverträge Anwendung finden. Nach Ablauf eines dreijährigen derogatorischen Mietvertrags können also sowohl der Vermieter als auch der Mieter jederzeit die Anerkennung des Mietvertrags als gewerblichen Mietvertrag beantragen, ohne hierbei an eine bestimmte Frist gebunden zu sein.

GGV informiert: Sowohl der Vermieter als auch der Mieter müssen im Rahmen der Beendigung eines dreijährigen derogatorischen Mietvertrags Vorsicht walten lassen und durch positive und unmissverständliche Handlungen ihren Willen zur Beendigung ihrer vertraglichen Beziehung zum Ausdruck bringen. Andernfalls kann eine Partei die Anwendung der gesetzlichen Vorschriften über gewerbliche Mietverträge beantragen, was unter anderem einen neunjährigen Mietvertrag und zusätzliche rechtliche Verpflichtungen, insbesondere für den Vermieter, zur Folge haben kann.

IMMOBILIENRECHT - Die Veräußerung eines Gewerbebetriebs, der einen gewerblichen Mietvertrag enthält, bedarf der Zustimmung des Vermieters

Kassationsgerichtshof, 19. April 2023, Nr. 21-20.655

Der Veräußerer eines Gewerbebetriebs, der ein Mietrecht beinhaltet, muss die Zustimmung des Vermieters einholen, wenn der gewerbliche Mietvertrag dies vorsieht. Dies entschied der Kassationsgerichtshof in einem Urteil vom 19. April 2023 im Zusammenhang mit der Veräußerung eines Gewerbebetriebs einer Gesellschaft, die sich in gerichtlicher Liquidation befand.

In dieser Rechtssache hatte eine Gesellschaft einen gewerblichen Mietvertrag abgeschlossen, der vorsah, dass der Mieter bei einer Abtretung seiner Rechte aus dem Mietvertrag die Zustimmung des Vermieters einholen musste.

Gegen den Mieter wurde später ein Insolvenzverfahren eröffnet, in dessen Rahmen der Insolvenzverwalter des Mieters den Gewerbebetrieb des Mieters veräußern wollte. Nachdem er einen Käufer gefunden hatte, beantragte und erhielt er die Genehmigung des Insolvenzgerichts, die besagte Veräußerung des Geschäftsbetriebs vorzunehmen.

Der Vermieter war jedoch mit der Abtretung des Mietrechts des Mieters nicht einverstanden. Er zog daher vor Gericht, um die Veräußerung des Gewerbebetriebs des Mieters anzufechten.

Das Berufungsgericht wies den Antrag des Vermieters zurück. Es war der Ansicht, dass die Klausel des gewerblichen Mietvertrags, die die Zustimmung des Vermieters im Falle der Abtretung von Mietrechten vorsieht, nur im Falle der Abtretung von Mietrechten und nicht im Falle der Abtretung des Gewerbebetriebs gilt.

Der Kassationsgerichtshof hob das Urteil des Berufungsgerichts auf. Er entschied, dass im Falle eines Insolvenzverfahrens die Abtretung des Mietrechts allein oder zusammen mit dem Gewerbebetrieb zu den Bedingungen erfolgt, die im Vertrag zum Zeitpunkt des Urteils über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgesehen sind. Der Vermieter ist somit berechtigt, die Klausel des gewerblichen Mietvertrags geltend zu machen, die die Abtretung der Mietrechte des Mieters von seiner Zustimmung abhängig macht.

Diese Rechtsprechung gilt grundsätzlich für jede Veräußerung eines Gewerbebetriebs, der ein gewerbliches Mietrecht beinhaltet.

So muss der Mieter bei der Veräußerung des Gewerbebetriebs zwingend die Zustimmung des Vermieters einholen, wenn der gewerbliche Mietvertrag ihn dazu verpflichtet, was in der Praxis sehr häufig der Fall ist. Die Zustimmung des Vermieters ist in der Regel eine reine Formalität, es sei denn, sie wird aus berechtigten Gründen verweigert.

Tipp von GGV: Im Rahmen von Verhandlungen eines gewerblichen Mietvertrags oder der Verlängerung des Mietvertrags muss der Mieter besonders auf die Klausel zur Abtretung der Mietrechte achten. Wenn der Mieter seinen Gewerbebetrieb veräußern will und der Mietvertrag dies vorsieht, muss er die Zustimmung des Vermieters einholen, bevor die Veräußerung vollzogen ist. Sollte der Vermieter die Übertragung ablehnen, muss er dies begründen, da er andernfalls gegenüber dem Mieter schadensersatzpflichtig ist.

UMWELTRECHT - Die sog. klassifizierten Anlagen zum Schutz der Umwelt im Rahmen gewerblicher Mietverträge

Die Berücksichtigung des Rechts der sog. klassifizierten Anlagen zum Schutz der Umwelt, auf Französisch „installation classée pour la protection de l’environnement“ (ICPE), verdienen nicht nur im Hinblick auf den Immobilienerwerb, sondern ebenso im Rahmen gewerblicher Mietverträge besondere Aufmerksamkeit.

 Eine klassifizierte Anlage zum Schutz der Umwelt kann jeden industrielle oder landwirtschaftlichen Betrieb darstellen, der geeignet ist, Gefahren für Dritte, Anwohner und/oder Verschmutzungen oder Beeinträchtigungen der Umwelt zu verursachen. Klassifizierten Anlagen unterliegen deshalb speziellen gesetzlichen Regelungen, die auch ins Recht der gewerblichen Mietverträge ausstrahlen, und dies sowohl auf Mieter- als auch auf Vermieterseite.

So obliegt es dem Betreiber oder Mieter einer klassifizierten Anlage, den französischen Umweltbehörden nicht nur die Aufnahme, sondern auch die Einstellung des Betriebs der Anlage mitzuteilen. Die Behörde kann daraufhin den Betreiber auffordern, bestimmte Maßnahmen zur Beseitigung einer Umweltverschmutzung durchzuführen. Sobald der Betreiber diese Maßnahmen durchgeführt hat, erstellt die Behörde einen Abschlussbericht, in dem bestätigt wird, dass die geforderten Maßnahmen zur Beseitigung der Umweltverschmutzung des Standorts ordnungsgemäß durchgeführt worden sind. Die Regeln für diese Instandsetzung sind strikt. Kommt der Betreiber bis zum Tag seines Auszugs den ihm obliegenden Instandsetzungsmaßnahmen nicht nach, wird eine Nutzungsentschädigung bis zum Erhalt des Abschlussberichts der Behörde fällig (Urteil des Kassationsgerichtshofs, Nr. 21-16.348 vom 11. Mai 2022).

 

Auf Vermieterseite sind gegenüber dem gewerblichen Mieter bestehende Informationspflichten zu beachten. Gemäß Artikel L. 125-7 des französischen Umweltgesetzbuchs muss dieser den Mieter schriftlich über von den Behörden veröffentlichte Informationen unterrichten, die hinsichtlich des vom Mietvertrag betroffenen Grundstücks auf bestehende Risiken im Hinblick auf eine Bodenverschmutzung hinweisen. Andernfalls kann der Mieter, wenn eine Verschmutzung festgestellt wird, die das Grundstück für den im Mietvertrag angegebenen Zweck ungeeignet macht, innerhalb von zwei Jahren nach Feststellung der Verschmutzung entweder die Auflösung des Mietvertrags oder eine Mietminderung fordern.

Tipp von GGV: Diese Beispiele zeigen deutlich, dass Sie eine umweltrechtliche Prüfung sowohl im Rahmen der vorvertraglichen Verhandlungen als auch bei einem Umzug in neue Räumlichkeiten nicht vernachlässigen sollten. Wir beraten Sie gerne.

GESUNDHEITSRECHT – Die Zulässigkeit von Abonnements für nicht erstattungsfähige ärztliche Telekonsultationen

Pressemitteilung der Nationalen Ärztekammer (CNOM), 8. Juni 2023

Die französische Nationale Ärztekammer (Conseil National de L’Ordre des Médecins – CNOM) gab hinsichtlich dieser Frage am 8. Juni 2023 eine ablehnende Stellungnahme ab und bezeichnete diese Praxis als kommerziell und somit nach dem französischen Gesetz über das öffentliche Gesundheitswesen unzulässig.

Hintergrund dieser Stellungnahme ist die Tatsache, dass die Privatklinikgruppe Ramsay Santé seit einem Jahr ihren Patienten ein Abonnementangebot in Höhe von 11,80 Euro im Monat anbietet, mit dem sie unbegrenzte Telekonsultationen mit verschiedenen Fachärzten durchführen können.

Die CNOM hat sich jedoch gegen diese Initiative ausgesprochen, da sie der Ansicht ist, dass ein solches Abonnement gegen die ärztliche Berufsethik verstößt,, insbesondere da es darauf abzielt, die Medizin als Geschäft auszuüben. Nach Ansicht der CNOM verstößt diese Praxis, die nicht von der Krankenversicherung erstattet wird, sondern vom Patienten selbst zu tragen ist, gegen die Grundprinzipien des französischen Gesundheitssystems der Solidarität und der kostenlosen Versorgung.

Die CNOM hat daher den Gesundheitsminister aufgefordert, Rechtsvorschriften zur Bekämpfung des Missbrauchs der Telemedizin zu erlassen.

Tipp von GGV: Wenn Sie Telekonsultationen in Frankreich anbieten möchten, ist Vorsicht geboten! Die geltenden berufsrechtlichen Vorschriften für Ärzte sind in diesem Bereich nach wie vor sehr restriktiv.

DATENSCHUTZ - Überblick über die jüngsten Entscheidungen der französischen Aufsichtsbehörde für den Schutz personenbezogener Daten (CNIL)

Zu den wichtigen Entscheidungen der CNIL in den letzten Monaten gehört zunächst die am 11. Mai 2023 in einem Verfahren gegen das Unternehmen und die Online-Plattform DOCTISSIMO ergangene Entscheidung. Dieses Unternehmen betreibt die Webseite doctissimo.fr, auf der hauptsächlich für die breite Öffentlichkeit Artikel, Tests, Quiz und Diskussionsforen im Zusammenhang mit Gesundheitsfragen und Wohlbefinden angeboten werden. Ausgangspunkt dieser Entscheidung war eine Beschwerde des Vereins Privacy International gegen DOCTISSIMO wegen verschiedener Datenschutzverstöße. Nach Durchführung verschiedener Kontrollmaßnahmen verhängte die CNIL schließlich eine Geldbuße in Höhe von 380.000 Euro gegen DOCTISSIMO, insbesondere weil die Webseite und die Passwörter der Nutzer nicht ausreichend gesichert und das Verhältnis zu Dienstleistern nicht vertraglich geregelt worden waren. Ferner hatte DOCTISSIMO es versäumt, eine gültige Einwilligung der Nutzer einzuholen, obwohl es sich bei den über Online-Fragebögen gesammelten Daten teilweise um Gesundheitsdaten handelte, die nach den gesetzlichen Vorschriften als besondere Kategorie personenbezogener Daten (gemäß Art. 9 DSGVO) eingestuft werden.

Ein anderer erwähnenswerter Fall betrifft das auf Online-Werbung spezialisierte Unternehmen CRITEO. Die CNIL verhängte gegen dieses Unternehmen eine Geldbuße in Höhe von 40 Millionen Euro, insbesondere weil es nicht überprüft hatte, ob die Personen, deren Daten verarbeitet wurden, ihre Einwilligung gegeben hatten. Um die Tragweite dieser Entscheidung zu verstehen, muss man sich vergegenwärtigen, dass CRITEO ein wichtiger Akteur im Bereich der Online-Werbung und insbesondere des Retargeting ist.

Wie die CNIL in ihrer Pressemitteilung zu ihrer Sanktionsentscheidung erklärt, besteht Retargeting darin, das Surfverhalten von Internetnutzern zu verfolgen, um ihnen personalisierte Werbung anzuzeigen. Zu diesem Zweck sammelt das Unternehmen die Navigationsdaten der Internetnutzer mithilfe des CRITEO-Trackers (Cookie), der auf ihren Endgeräten abgelegt wird, wenn sie bestimmte Partnerwebseiten von CRITEO besuchen.

Gemäß dem französischen Datenschutzgesetz (Loi informatique et libertés) ist für die Hinterlegung eines Cookies auf dem Endgerät eines Webseiten-Nutzers grundsätzlich dessen Einwilligung erforderlich. Eigentlich obliegt es dem Webseitenbetreiber, die Nutzer über die Verwendung von Cookies zu informieren und ihre Zustimmung einzuholen, doch CRITEO musste die Einholung dieser Zustimmung sicherstellen, und von seinen Partnern einen entsprechenden Nachweis verlangen; diese kamen dieser Aufforderung jedoch nicht nach.

GGV empfiehlt: Diese beiden Fälle zeigen, wie wichtig es für Unternehmen ist, die eine Webseite betreiben, 1. zu überprüfen, welche Daten über die Webseite des Unternehmens verarbeitet werden, 2. sicherzustellen, dass die Verarbeitung der Daten nicht die Einwilligung der betroffenen Personen erfordert bzw. einen gültigen Mechanismus zur Einholung der Zustimmung einzurichten, 3. zu überprüfen, ob die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz der Daten der Nutzer eingerichtet wurden, und 4. die Besucher der Webseite über alle Tracker, die auf ihrem Endgerät abgelegt werden, zu informieren und ihre Zustimmung einzuholen.

DATENSCHUTZ - Personenbezogene Daten: Ein neuer Rechtsrahmen für die Übermittlung von personenbezogenen Daten in die USA

Am 10. Juli 2023 hat die Europäische Kommission einen neuen Angemessenheitsbeschluss erlassen. Hierdurch erkennt sie an, dass die Vereinigten Staaten ein Sicherheitsniveau für personenbezogene Daten bieten, das dem der Europäischen Union im Wesentlichen entspricht.

Dieser Angemessenheitsbeschluss füllt eine Lücke, die durch eine Entscheidung des EuGH vom Juli 2020 entstanden war. Damals hatte das höchste europäische Gericht den vorherigen Angemessenheitsbeschluss der Europäischen Kommission für ungültig erklärt. Um zu diesem Ergebnis zu gelangen, hatte der Gerichtshof festgestellt, dass die damals geltenden US-Gesetze Personen, deren Daten von Internetdienstanbietern und Telekommunikationsunternehmen verarbeitet werden, nicht ausreichend vor einem unangekündigten Zugriff durch die US-Geheimdienste schützen.

Konkret hat der neue Angemessenheitsbeschluss zur Folge, dass Stellen, die der DSGVO unterliegen (d. h. grundsätzlich alle Stellen, wie beispielsweise Unternehmen, Behörden, Verbände oder internationale Organisationen, die in der Europäischen Union ansässig sind oder Daten von EU-Bürgern verarbeiten), nun ohne weitere Formalitäten wieder Daten in die USA übermitteln können, sofern im Vorfeld sichergestellt wurde, dass der Empfänger der Daten auf der Liste der Unternehmen steht, die sich bereit erklärt haben, sich dem zwischen der Europäischen Union und den USA vereinbarten Rechtsrahmen zu unterwerfen. Die Liste kann unter folgendem Link eingesehen werden: https://www.dataprivacyframework.gov/s/participant-search

NEUE TECHNOLOGIEN UND IMPACT-PROJEKTE – Aktueller Stand der EU-Verordnung über künstliche Intelligenz (AI Act)

Die KI ist ein allgegenwärtiges Gesprächsthema. Auch beim Seminar zwischen Präsident Macron und Bundeskanzler Scholz am 9. und 10. Oktober nahm sie einen wichtigen Platz ein. Doch wie steht es um die Regulierung der KI?

Mit der Annahme seines Vorschlags für eine Verordnung über künstliche Intelligenz durch das Europäische Parlament am 14. Juni 2023 können nun die Gespräche zwischen den Mitgliedsstaaten im Rat (Trilog) beginnen, bevor die Verordnung voraussichtlich Ende des Jahres verabschiedet wird.

Der AI Act enthält eine Definition dessen, was ein KI-System ist, nämlich „eine Software, die mit einer oder mehreren der in Anhang I aufgeführten Techniken und Konzepte entwickelt worden ist und im Hinblick auf eine Reihe von Zielen, die vom Menschen festgelegt werden, Ergebnisse wie Inhalte, Vorhersagen, Empfehlungen oder Entscheidungen hervorbringen kann, die das Umfeld beeinflussen, mit dem sie interagieren“. Diese Definition wurde in technologischer Hinsicht so neutral wie möglich verfasst, damit sie auch in Zukunft noch gilt. In Anhang I sind die Techniken für den Ansatz und die Entwicklung von KI aufgelistet, die von der Kommission angepasst werden müssen, wenn neue Technologien auftauchen.

Einfacher ausgedrückt: KI basiert in erster Linie auf einem Algorithmus, der menschliches Verhalten auf der Grundlage von Daten reproduzieren kann, die ihm zur Verfügung gestellt wurden. KI ist also weder künstlich, da sie auf einer Maschine mit Computerlogik basiert, noch intelligent, da sie lediglich Informationen aus vorhandenen Daten reproduziert oder generiert.

In Verfolgung des Ziels sicherer, transparenter, nachvollziehbarer, nicht diskriminierender und umweltfreundlicher KI-Systeme folgt die KI-Verordnung einem risikobasierten Ansatz und sieht je nach Risikoniveau unterschiedliche Regeln vor.

Als inakzeptabel und damit verboten gelten beispielsweise das soziale Scoring oder der Einsatz biometrischer Echtzeit-Fernidentifizierungssysteme in öffentlich zugänglichen Räumen, wie etwa die Gesichtserkennung. Unter bestimmten Bedingungen, die im AI Act detailliert aufgeführt sind, stellen KI-Systeme, die insbesondere in den Bereichen biometrische Identifizierung und Kategorisierung natürlicher Personen, Bildung und Berufsbildung, Beschäftigung, Arbeitnehmermanagement, Migrationsmanagement, Asyl und Grenzkontrolle Anwendung finden, ein hohes Risiko dar und müssen daher vor ihrer Markteinführung und während ihres gesamten Lebenszyklus bewertet werden. Diese risikobehafteten KI-Systeme müssen in einer europäischen Datenbank registriert werden und zahlreiche Anforderungen in Bezug auf Robustheit, Cybersicherheit, menschliche Überwachung, Data Governance usw. erfüllen.

KI-Systeme mit begrenzten Risiken unterliegen hauptsächlich Transparenzpflichten. Bei KI-Systemen mit geringen Risiken wird die Erstellung von Verhaltenskodizes empfohlen.

Jeder Mitgliedstaat muss eine zuständige nationale Behörde für die Überwachung der Umsetzung des AI Act auf nationaler Ebene einsetzen, die auch im Europäischen Ausschuss für Künstliche Intelligenz mitwirkt. In einer am 30. August 2022 veröffentlichten Studie schlug der Oberste Verwaltungsgerichtshof (Conseil d’Etat) vor, die Befugnisse der französischen Datenschutzbehörde (CNIL) zu stärken und ihre Rolle auszuweiten, indem man ihr die Aufgaben der im AI Act vorgesehenen zuständigen nationalen Kontrollbehörde überträgt.

Ergänzend zum AI Act wird derzeit eine Richtlinie über die Haftung im Zusammenhang mit KI vorbereitet.

NEUE TECHNOLOGIEN UND IMPACT-PROJEKTE – Von Natur aus vereinbar? Zwischen Bitcoin und ESG-Kriterien

Der Bitcoin, von Beginn an aufgrund seines hohen Energieverbrauchs ins Visier genommen, wird in einem aktuellen Bericht der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG in einem anderen Licht betrachtet.

Während die Blockchain-Technologie und insbesondere der Bitcoin oft als umweltschädlich und wegen des Einsatzes dieser Technologie zu kriminellen Zwecken kritisiert werden, zeigt der jüngste, Anfang August veröffentlichte Bericht von KPMG über die Rolle des Bitcoins in Bezug auf ESG-Kriterien (Umwelt, Soziales, Governance) bestimmte Aspekte dieser Technologie in einem neuen Licht.

Der KPMG-Bericht bezieht sich auf den Cambridge Bitcoin Electricity Consumption Index, nach dem der Bitcoin zwar 0,55 % der globalen Stromerzeugung verbraucht, doch seine Treibhausgasemissionen lediglich 0,13 % der Gesamtemissionen ausmachen. Diese Kennzahlen sollten daher im Vergleich zu anderen Wirtschaftszweigen mit hohem Treibhausgasausstoß betrachtet werden.

Der Bericht schlägt zur Reduzierung der CO2-Bilanz vier Strategien vor:

  • Die Nutzung erneuerbarer Energien für das Bitcoin-Mining (sog. Schürfen): Der Stromverbrauch ist aufgrund der hohen Rechenleistungen ein kritischer Kostenfaktor. Aus diesem Grund haben sich die Miner auf die Suche nach reichlich vorhandenen und daher kostengünstigen Stromquellen gemacht, die häufig aus überschüssigem Strom aus Solar-, Wind- und Wasserkraft gewonnen werden. Als Beispiel ist hier die Mining-Farm im Virunga-Park in der Demokratischen Republik Kongo zu nennen, die von einem der drei Wasserkraftwerke des Parks versorgt wird. Die Tätigkeit der Miner kann somit eine lebenswichtige Einkommensquelle dieser mit Verlust produzierenden Anlagen darstellen (negative Strompreise) und so zur Entwicklung der lokalen Wirtschaft beitragen;
  • Die Flexibilität der Miner macht sie zu neutralen Schnittstellen der Netzwerk-Peripherie: Sie können bei einer hohen Nachfrage sofort vom Netz gehen, um dieses zu entlasten. So tragen die Miner zur gleichmäßigen Auslastung des Netzes bei;
  • Das Recycling der von den Mining-Anlagen erzeugten Wärme: Der KPMG-Bericht nennt als Beispiel die Stadt Nord-Vancouver in Kanada, welche die von den Maschinen abgegebene Wärme zum Heizen von 100 Geschäfts- und Wohngebäuden recycelt. Derselbe Miner im Virunga-Park recycelt die Abwärme der Anlagen und trocknet seit Kurzem Früchte. Hierdurch trägt er zum Aufbau einer lokalen Industrie bei.
  • Mining-Farmen beginnen auch damit, die Energie aus dem Abfackeln von Gas, das besonders viel CO2 ausstößt, zurückzugewinnen.

Die sozialen Kriterien, insbesondere die Untersuchungsmöglichkeiten und die Governance-Kriterien werden ebenfalls in diesem Bericht behandelt und sind Gegenstand weiterer Studien. Man kann jedoch bereits jetzt eine gewisse Professionalisierung eines aufstrebenden Sektors feststellen, der von Beginn innovativ war, um die ESG-Vorgaben, die für einige zum Wesen des Bitcoins gehören, vollständig zu integrieren.

GESUNDHEITSRECHT – Auswirkungen des Gesetzes über Influencer auf Unternehmen im Gesundheitssektor

Gesetz Nr. 2023-451 vom 9. Juni 2023

Das Gesetz zur Regelung der kommerziellen Einflussnahme und Bekämpfung von Fehlverhalten von Influencern in sozialen Netzwerken (im Folgenden „Gesetz über Influencer“) wirkt sich auf Unternehmen im Gesundheitssektor aus.

Das Gesetz über Influencer soll die kommerzielle Einflussnahme auf elektronischem Wege (insbesondere auf Online-Plattformen wie sozialen Netzwerken) regeln. Das Gesetz definiert einen Influencer als „jede natürliche oder juristische Person, die gegen Vergütung ihren Bekanntheitsgrad bei ihrem Publikum nutzt, um der Öffentlichkeit auf elektronischem Wege Inhalte mitzuteilen, um so unmittelbar oder mittelbar Waren, Dienstleistungen oder beliebige Sachen zu bewerben“.

Dieses Gesetz betrifft alle in Frankreich oder im Ausland ansässigen Influencer, sofern sich ihre Aktivitäten an ein Publikum in Frankreich richten.

Im Gesundheitssektor unterliegen Influencer aufgrund des o. g. Gesetzes den Vorschriften über Arzneimittelwerbung (Art. L. 5122-1 bis L. 5122-16 des französischen Gesetzbuchs über die öffentliche Gesundheit), Medizinprodukte (Art. L. 5213-1 bis L. 5213-7) sowie Vorrichtungen im Bereich der In-Vitro-Diagnostika (Art. L. 5223-1 bis L. 5223-5). Außerdem unterliegen sie auch den Regelungen für gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel (Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 vom 20. Dezember 2006) und solche für die Werbung für Getränke mit Zucker- oder Salzzusatz, alkoholische Getränke, Tabakerzeugnisse und E-Zigaretten-Produkte.

Daher dürfen Influencer in der Öffentlichkeit nur dann für Arzneimittel werben, wenn sie von der ANSM (französische Agentur für Arzneimittelsicherheit) eine entsprechende Genehmigung erhalten haben. Außerdem dürfen sie in keinem Fall für verschreibungspflichtige oder erstattungsfähige Arzneimittel werben.

Influencern ist es ferner untersagt, für Medizinprodukte zu werben, die von der Sozialversicherung übernommen werden, sowie für alle Handlungen, Verfahren, Techniken oder Methoden, die der Schönheitspflege dienen. Dieses Verbot gilt nicht nur für Schönheitsoperationen, sondern auch für bestimmte medizinische Geräte wie Sonnenbänke oder Lasergeräte.

Daher dürfen nur Medizinprodukte der Klassen I und II, wie z. B. Korrekturbrillen, Kontaktlinsen, Hörgeräte oder Zahnkronen, von Influencern beworben werden.

Bei Verstößen gegen diese Bestimmungen müssen Influencer und Partnerunternehmen mit strafrechtlicher Verfolgung und Sanktionen rechnen, die neben einem Berufsverbot bis zu zwei Jahre Freiheitsstrafe und 300.000 Euro Geldstrafe betragen können. Das Unternehmen, das die Dienste des Influencers in Anspruch genommen hat, kann darüber hinaus gesamtschuldnerisch haftbar gemacht werden.

Empfehlung von GGV: Wenn Sie als Unternehmen im Gesundheitssektor tätig sind, achten Sie auf Ihre Partnerschaften mit Influencern, die sowohl in Frankreich als auch im Ausland ansässig sind!