Deutsch-Französischer Informationsbrief | August 2019

In diesem zweisprachigen Informationsbrief möchten wir Sie über aktuelle rechtliche und steuerrechtliche Entwicklungen in Deutschland und Frankreich informieren. Dieser Brief ist von der Deutsch-Französischen Équipe von GGV verfasst, die sich auf die Beratung von Unternehmen aus französischsprachigen Ländern in Deutschland und von Unternehmen aus deutschsprachigen Ländern in Frankreich spezialisiert hat.

News Frankreich

  1. STEUERRECHT – Die Anwendung einer Verwaltungsvorschrift der Finanzverwaltung kann rechtsmissbräuchlich sein
  2. GESELLSCHAFTSRECHT – Folgen des Gesetzes „PACTE“ für das Gesellschaftsrecht
  3. ARBEITSRECHT – Folgen des Gesetzes „PACTE“ für die Schwellenwerte
  4. ARBEITSRECHT – Asbestbelastung und Entschädigungsansprüche aufgrund von „Angstschaden“
  5. ARBEITSRECHT – Betriebliche Pflicht-Zusatzkrankenversicherung: Vorsicht bei Policen, die eine fakultative Mitgliedschaft für die Arbeitnehmer vorsehen
  6. ARBEITSRECHT – Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit
  7. WIRTSCHAFTSRECHT – Verordnungen EGALIM: Reform der Geschäftsbeziehungen zwischen Hersteller und Verkäufer
  8. IMMOBILIENRECHT – Obergrenze bei Mieterhöhungen nach richterlich verfügter Mietanpassung
  9. GGV in eigener Sache

News Frankreich

STEUERRECHT – Die Anwendung einer Verwaltungsvorschrift der Finanzverwaltung kann rechtsmissbräuchlich sein

Mit Urteil vom 20.12.2018 (Nr. 17PA00747) hat das Oberverwaltungsgericht Paris entschieden, dass die wörtliche Auslegung einer Verwaltungsvorschrift der Finanzverwaltung einen Rechtsmissbrauch begründen kann. Durch dieses Urteil, das eine gefestigte Rechtsprechung in Frage stellt, wird die Rechtsunsicherheit für die Steuerpflichtigen verstärkt.

Dieser Fall betraf den steuerlichen Vorteil für Geschäftsführer von kleinen oder mittleren Unternehmens (sog. „PME“), die ihre Beteiligung anlässlich ihres Ruhestandes veräußern. Das Steuergesetz sieht eine Steuerermäßigung für Veräußerungsgewinne von solchen Beteiligungen vor, sofern der Verkäufer während einem Zeitraum von drei Jahren keine mittelbare oder unmittelbare Beteiligung in der erwerbenden Gesellschaft hält. Aufgrund einer Verwaltungstoleranz ist es jedoch zulässig, dass der Verkäufer mittelbar oder unmittelbar bis zu 1 % der Anteile in der erwerbenden Gesellschaft hält.

Im zu entscheidenden Fall hatte die Finanzverwaltung dem Steuerpflichtigen den Missbrauch einer Verwaltungsvorschrift dadurch vorgeworfen, dass er die Voraussetzungen für die Verwaltungstoleranz antizipiert habe.

Die Auffassung der Finanzverwaltung hatte die Frage aufgeworfen, ob die wörtliche Anwendung einer Verwaltungsvorschrift der Finanzverwaltung rechtsmissbräuchlich sein kann.

Das Oberverwaltungsgericht Paris hat diese Auffassung bestätigt und dadurch die bisherige Rechtsprechung mit Folgen für den Schutz durch die in Artikel L. 80 A der Steuerverfahrensordnung vorgesehene Garantie in Frage gestellt. Seit einer Stellungnahme des obersten Finanzgerichtshofs („Conseil d’Etat“) in dem so genannten „Turbofonds“-Fall (Stellungnahme vom 08.04.1998, Nr. 192539, Ass., Sté de distribution de chaleur de Meudon et Orléans) ist ausdrücklich anerkannt, dass die wörtliche Anwendung der Verwaltungsvorschrift, auch contra legem keinen Rechtsmissbrauch darstellen kann.

Die im Urteil vom 20.12.2018 vertretene Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Paris scheint auf dem Wortlaut des Gesetzes gegen den Rechtsmissbrauch zu beruhen, welches nach der oben genannten Stellungnahme des obersten Finanzgerichtshofs verabschiedet wurde. Diesem Gesetz zufolge gehören neben den Gesetzen auch „Entscheidungen“ zu den Bestimmungen, die in Widerspruch zum Willen des Gesetzgebers missbräuchlich angewandt werden können.

In Anbetracht der unklar formulierten gesetzlichen Bestimmungen und der parlamentarischen Arbeiten hat das Oberverwaltungsgericht den Begriff „Entscheidungen“ extensiv ausgelegt und ist zur Auffassung gekommen, dass auch Verwaltungsvorschriften der Finanzverwaltung missbräuchlich angewandt werden können.

Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Paris ist in mehrfacher Hinsicht überraschend. Für eine Bestätigung zur Verurteilung zur Nachzahlung war es vorliegend nicht notwendig, einen Rechtsmissbrauch durch die Anwendung einer Verwaltungsvorschrift der Finanzverwaltung festzustellen. Der Rechtsmissbrauch erstreckt sich nämlich auch auf fiktive rechtliche Situationen. Infolgedessen war die Feststellung durch das Gericht ausreichend, dass sich der Steuerpflichtige ausschließlich mit dem Ziel organisiert hat, die Voraussetzungen für die Toleranz gemäß der Verwaltungsvorschrift zu erfüllen.

Außerdem führt dieses Urteil zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit. Bis zu diesem Urteil stand fest, dass dem Steuerpflichtigen kein Rechtsmissbrauch vorgeworfen werden kann, sofern er die Verwaltungsvorschrift der Finanzverwaltung genauestens beachtet. Mit diesem Urteil wird diese Sicherheit beendet. Steuerspezialisten müssen sich künftig die Frage stellen, was die Finanzverwaltung mit ihren Verwaltungsvorschriften beabsichtigt, um ihre Mandanten vor dem Vorwurf des Rechtsmissbrauchs zu schützen. Mit anderen Worten, die Steuerspezialisten werden die schwierige Aufgabe haben, die Auslegung durch die Verwaltung zu interpretieren!

Schließlich ist dieses Urteil umso mehr zu bedauern, als dass es die bereits durch das Haushaltsgesetz für 2019 eingeleitete Ausweitung des Rechtsmissbrauchs bestätigt. Der neue Artikel L. 64 A der Steuerverfahrensordnung, der im Jahr 2021 für die ab dem 01.01.2020 ergangene Verwaltungsakte anwendbar sein wird, wird nicht nur Optimierungen unter Strafe stellen, die ausschließlich eine Steuerminderung zum Ziel haben, sondern auch solche, die lediglich überwiegend steuerlich begründet sind.

Es besteht jedoch immer noch die Hoffnung, dass das Urteil des Oberverwaltungsgerichts, gegen das Revision eingelegt wurde, vom Obersten Finanzgerichtshof aufgehoben wird. Wir werden Sie über das Ergebnis dieses Verfahrens und die sich aus dem Urteil des Obersten Finanzgerichtshofs ergebenden praktischen Konsequenzen informieren.

GESELLSCHAFTSRECHT – Folgen des Gesetzes „PACTE“ für das Gesellschaftsrecht

Ein Überblick über die Auswirkungen des Gesetzes „PACTE“ vom 22.05.2019 auf das Gesellschaftsrecht.

I. ABSCHLUSSPRÜFER

a) Vereinheitlichung der Schwellenwerte

Vereinfachte Aktiengesellschaften, die von einer oder mehreren juristischen Personen kontrolliert werden, mussten vor der Reform durch das Gesetz „PACTE“ bereits aus diesem Grund und unabhängig von ihren Ergebnissen und ihrer Personalstärke einen Abschlussprüfer bestellen. Mit dem Gesetz wurde diese Ausnahme abgeschafft. Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes sind nur die vereinfachten Aktiengesellschaften zur Bestellung eines Abschlussprüfers verpflichtet, die die neuen Schwellenwerte überschreiten. Die Schwellenwerte wurden angehoben und vereinheitlicht.

Handelsgesellschaften (unabhängig von ihrer Rechtsform) bzw. Gesellschaften, die eine Unternehmensgruppe kontrollieren, die die Schwellenwerte übersteigt, müssen für Geschäftsjahre, die nach dem 27.05.2019 enden, für sechs Geschäftsjahre einen Abschlussprüfer bestellen, sofern zwei der folgenden Schwellenwerte überschritten werden:

  • 4 Mio. € Bilanzsumme
  • 8 Mio. € Umsatz
  • 50 Arbeitnehmer.

Ausgenommen sind Muttergesellschaften einer „kleinen Gruppe“; d.h. eine Gruppe, deren Gesamtzahlen die oben genannten Schwellenwerte nicht überschreiten, die selbst von einem Abschlussprüfer geprüft werden.

Unterhalb dieser Schwellenwerte müssen Gesellschaften einen „ad hoc“-Abschlussprüfer bestellen, wenn die Gesellschafter eine richterliche Bestellung beantragen, oder in einem der folgenden Fälle:

  • Kapitalerhöhung unter Ausschluss eines bevorzugten Zeichnungsrechts;
  • Vergabe von Optionen auf die Zeichnung oder den Erwerb von Aktien;
  • Vergabe von kostenlosen Aktien;
  • Rückkauf eigener Aktien durch die Gesellschaft;
  • Kapitalerhöhung durch Verrechnung mit Forderungen.

b) Vereinfachte Prüfung

Muttergesellschaften kleiner Gruppen oder solche, die von einer geprüften Gesellschaft kontrolliert werden, und am Ende eines Geschäftsjahres die oben genannten Schwellenwerte überschreiten, können sich für eine „Prüfung kleiner Unternehmen“ entscheiden.

Die „vereinfachte“ Prüfung ermöglicht es, die Prüfungstätigkeit des Abschlussprüfers zu beschränken und die Dauer der Bestellung auf drei Jahre zu verkürzen.

Gesellschaften, die keinen Abschlussprüfer bestellen müssen, können freiwillig einen Abschlussprüfer für eine vereinfachte Prüfung bestellen.

II. GESELLSCHAFTSZWECK – „EXISTENZBERECHTIGUNG“ – „GESELLSCHAFT MIT EINER MISSION“

Mit dem Gesetz „PACTE“ wird der Grundsatz kodifiziert, dass Gesellschaften nicht nur im Interesse ihrer Gesellschafter, sondern auch im eigenen Interesse geleitet werden sollen.

So wird der bereits von der Rechtsprechung definierte Begriff des „Gesellschaftszwecks“ mit der Änderung von Artikel 1833 des Zivilgesetzbuches zu einem Begriff des zwingenden Rechts. Handlungen, die gegen den Gesellschaftszweck verstoßen, können jedoch nicht für nichtig erklärt werden.

Gesellschaften haben nunmehr die Möglichkeit, in ihre Satzung eine „Existenzberechtigung“ aufzunehmen. Diese kann als Ausdruck dessen definiert sein, was „zur Erfüllung des Gesellschaftszwecks unerlässlich“ ist. Dieses Leitbild und die dafür bestimmten Ressourcen der Gesellschaft müssen vom Vorstand gegebenenfalls berücksichtigt werden.

Das Gesetz führt außerdem den Begriff einer „Gesellschaft mit einer Mission“ ein: Dabei handelt es sich um eine Handelsgesellschaft mit einer Existenzberechtigung und einer Verpflichtung, soziale oder Ziele im Bereich Umwelt zu verfolgen. Ein besonderes Organ ist für die Überwachung der Durchführung dieser Mission zuständig.

III. DARLEHEN AN GESELLSCHAFTER

Künftig kann allen Gesellschaftern, unabhängig von der Höhe ihrer Beteiligung am Gesellschaftskapital, ein Darlehen gewährt werden.

Darüber hinaus können solche Darlehen von allen gesetzlichen Vertretern von Handelsgesellschaften bewilligt werden.

IV. DARLEHEN AN ANDERE GESELLSCHAFTEN

Die Möglichkeit für eine Gesellschaft, Darlehen an andere Gesellschaften zu vergeben, mit denen sie wirtschaftlich verbunden ist, wird auf alle Handelsgesellschaften erweitert, deren Jahresabschlüsse von einem Abschlussprüfer geprüft werden. Außerdem wurde die Dauer auf drei Jahre verlängert.

V. AKTIENGESELLSCHAFT

Aktiengesellschaften müssen nun die Vergütung der fünf oder zehn bestbezahlten Personen bekannt geben, je nachdem, ob die Gesellschaft mehr oder weniger als 250 Mitarbeiter hat.

Ebenfalls sollten sie sich, auch wenn im Gesetz noch keine Sanktionen vorgesehen sind, im Rahmen des Auswahlverfahrens für den Vorstand „bemühen, eine ausgewogene Vertretung von Frauen und Männern zu erreichen“.

VI. ZENTRALE ELEKTRONISCHE ANLAUFSTELLE

Die meisten Anträge auf Eintragung in das Handelsregister bzw. auf eine Änderung der Eintragung konnten bereits vor der Reform auf eine gemeinsame Website online gestellt werden. Spätestens ab dem 01.01.2023 müssen alle Anträge online gestellt werden.

VII. VEREINFACHTE DARSTELLUNG DES JAHRESABSCHLUSSES

Neben den kleinen Gesellschaften können sich nun auch mittelständische Gesellschaften für eine vereinfachte Darstellung entscheiden.

ARBEITSRECHT – Folgen des Gesetzes „PACTE“ für die Schwellenwerte

Das Gesetz „für das Wachstum und die Transformation der Unternehmen“ („PACTE“) vom 22.05.2019 wurde vom Verfassungsgericht weitestgehend gebilligt und wurde am 23.05.2019 veröffentlicht. Eine der Maßnahmen, ist die Vereinfachung der Schwellenwerte für die Arbeitnehmerzahl, deren Erreichen bzw. Überschreiten zu zusätzlichen Pflichten für den Arbeitgeber führt.

Die Schwellenwerte wurden neu geregelt und werden am 01.01.2020 in Kraft treten. Für eine Übergangszeit gelten jedoch bestimmte bisherige Schwellenwerte weiter (z.B. für die Pflicht zur Beschäftigung von Arbeitnehmern mit Behinderung).

Das Gesetz „PACTE“ harmonisiert die Methode für die Berechnung der Arbeitnehmerzahl im Arbeitsrecht durch die Übernahme der im Sozialgesetzbuch vorgesehenen Berechnungsregeln für bestimmte im Arbeitsgesetzbuch vorgesehene Regelungen. Der neugefasste Artikel L. 130-1, I Abs. 1 des Sozialgesetzbuches bestimmt, dass die jährliche Arbeitnehmerzahl des Unternehmens der durchschnittlichen Anzahl der in jedem Monat des vorangegangenen Kalenderjahres beschäftigten Arbeitnehmer entspricht. Dies gilt auch für eine juristische Person mit mehreren Niederlassungen.

Diese Berechnungsgrundlage der Arbeitnehmeranzahl gilt insbesondere für:

  • die Ernennung eines Beauftragten gegen sexuelle Belästigung und sexistisches Verhalten;
  • die Bestimmung des Freizeitausgleichs, der bei der Überschreitung des jährlichen Überstundenkontingents gewährt werden muss;
  • die Beteiligung von Arbeitnehmern an Unternehmensergebnissen sowie Unternehmenssparpläne.

Bezüglich der Pflicht zur Einführung einer Betriebsordnung und der Pflicht, Gewerkschaften Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen, sind jedoch weiterhin die Regeln zur Berechnung der Arbeitnehmerzahl gemäß Artikel L. 1111-2 und L. 1111-3 des Arbeitsgesetzbuches anwendbar.

Die bisherigen Schwellenwerte wurden vereinheitlicht. Künftig bestehen nur noch die folgenden Schwellenwerte: 11, 50 und 250 Arbeitnehmer. Die Einführung einer Betriebsordnung ist nunmehr in Unternehmen bzw. Niederlassungen Pflicht, die mindestens 50 Arbeitnehmer beschäftigen, und nicht mehr wie bisher ab mindestens 20 Arbeitnehmern. Dagegen wird der Schwellenwert von 25 Arbeitnehmern, ab dem der Arbeitgeber zur Eröffnung eines besonderen Bankkontos zur Abwicklung der Ausgabe von sog. Restauranttickets verpflichtet wird, abgeschafft.

Zur Milderung der Folgen im Falle des Erreichens bzw. des Überschreitens von Schwellenwerten sieht das Gesetz vor, dass eine sich hieraus für das Unternehmen ergebenden Pflicht nur dann entsteht, wenn der Schwellenwert während fünf aufeinander folgenden Kalenderjahren erreicht bzw. überschritten wurde. Sollte die Arbeitnehmerzahl im Laufe eines Kalenderjahres jedoch erneut unter den  Schwellenwert absinken, so greift erneut die Fünfjahresregel.

Folglich unterliegt ein Unternehmen, das im Jahr X den Schwellenwert von 50 Arbeitnehmern erreicht hat, nur dann den Pflichten aufgrund des Überschreitens dieses Schwellenwertes, wenn es in den Jahren X+1, X+2, X+3 und X+4 ebenfalls die Grenze von 50 Arbeitnehmern erreicht hat. Unterschreitet die Anzahl jedoch beispielsweise im Jahr X+2 die Schwelle von 50 Arbeitnehmern erneut, so unterliegt das Unternehmen den Pflichten nur dann, wenn 50 oder mehr Arbeitnehmer in den fünf auf X+2 folgenden Jahren beschäftigt werden.

Für die Einführung einer Betriebsordnung gilt ausnahmsweise eine andere Regel: Die Pflicht zur Einführung entsteht, wenn während eines Zeitraums von 12 Monaten 50 Arbeitnehmer oder mehr beschäftigt werden. Dieselbe Regel galt bereits vor der Gesetzesreform für die Festsetzung der Befugnisse des Personalvertretungsorgans CSE („comité social et économique“) (Artikel L. 2312-2 des Arbeitsgesetzbuches). Da das „CSE“ vor der Einführung einer Betriebsordnung angehört werden muss, hat der Gesetzgeber für die Betriebsordnung die gleiche Frist vorgesehen.

ARBEITSRECHT – Asbestbelastung und Entschädigungsansprüche aufgrund von „Angstschaden“

Der französische Kassationshof hat mit Urteil vom 05.04.2019 entschieden, dass alle Arbeitnehmer, die aufgrund ihrer Beschäftigung Asbest ausgesetzt waren, Anspruch auf den Ersatz des ihnen hierdurch entstandenen „Angstschaden“ haben, auch wenn sie keinen Anspruch auf asbestbedingten Vorruhestand haben. Der Kassationshof stellt jedoch strenge Anforderungen an diesen Entschädigungsanspruch und bestätigt die bisherige Rechtsprechung bezüglich der Haftung des Arbeitgebers für die Sicherheit seiner Arbeitnehmer.

Im Jahr 2010 hat die Rechtsprechung anerkannt, dass Arbeitnehmer, die Asbest ausgesetzt waren, Anspruch auf den Ersatz von Angstschaden haben. Hierbei geht es um den Schaden, der durch eine andauernde Sorge des Arbeitnehmers entstand, aufgrund des Kontakts mit Asbest schwer zu erkranken.

Dieser Rechtsprechung zufolge konnten nur die Arbeitnehmer den Ersatz von Angstschaden geltend machen, die in einem Betrieb gearbeitet hatten, für dessen Mitarbeiter ein asbestbedingter Vorruhestand vorgesehen ist (Betrieb „ACAATA“) (Cass. soc. 11.05.2010, Nr. 09-42.241).

Einen Anspruch auf Ersatz von Angstschaden lehnte die Rechtsprechung für diejenigen Arbeitnehmer zunächst ab, die zwar Asbest ausgesetzt waren, jedoch keinen Anspruch auf einen asbestbedingten Vorruhestand hatten (Cass. soc. 03.03.2015, Nr. 13-26.175), und die keine Verletzung der Pflicht des Arbeitgebers zum Schutz der Gesundheit beweisen konnten (Cass. soc. 21.09.2017, Nr. 16-15.130).

Mit dem Urteil vom 05.04.2019 hat der Kassationshof seine Rechtsprechung dahingehend geändert, dass nunmehr auch Arbeitnehmer, die mit Asbest in Kontakt gekommen sind, und keinen Anspruch auf einen asbestbedingten Ruhestand haben, den Ersatz des von ihnen erlittenen Angstschadens geltend machen können.

Eine solche Klage hat für Arbeitnehmer, die die Voraussetzungen für einen asbestbedingten Vorruhestand nicht erfüllen, nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn sie eine signifikante Belastung durch Asbest beweisen können, die zu einem erhöhten Risiko einer schweren Erkrankung führt. Für die Bewertung der Asbestbelastung können die Menge des eingeatmeten Asbeststaubs und die Dauer der Arbeit im asbestbelasteten Umfeld herangezogen werden.

Für Arbeitnehmer, die in einem als „ACAATA“ eingestuften Betrieb gearbeitet haben, besteht die unwiderlegliche Vermutung, dass sie Asbest ausgesetzt waren und dass sie einen Angstschaden erlitten haben. Diese Arbeitnehmer müssen daher weder ihre Asbestbelastung noch ihren Angstschaden beweisen (Cass. soc. 02.04.2014, Nr. 12-29.825 und Nr. 12-28.616).

Der Richter muss in seinem Urteil anhand der konkreten Umstände feststellen, dass der Arbeitnehmer einen Angstschaden erlitten hat. Eine Entschädigung wird also nicht automatisch zugesprochen. Ist die Beweislage unzureichend, wird die Klage des Arbeitnehmers abgewiesen. In Anwendung dieser Regel hat der Kassationshof die ihm vorgelegte Rechtssache mit dem Urteil vom 05.04.2019 mit der Begründung aufgehoben, dass das Berufungsgericht den Angstschaden im Urteil nicht ausreichend dargelegt hatte.

Der Kassationshof hat außerdem seine bisherige Rechtsprechung bestätigt, wonach der Arbeitgeber von der Haftung befreit ist, kann er beweisen, dass er alle von Artikel L. 4121-1 und L. 4121-2 des Arbeitsgesetzbuches vorgesehenen präventiven und Sicherheitsmaßnahmen ergriffen hat (Cass. soc. 25.11.2015, Nr. 12-24.444; Cass. soc. 01.06.2016, Nr. 14-19.702). Hierbei handelt es sich um, Vorsorge-, Informations- und Schulungsmaßnahmen für Arbeitnehmer, für die ein Asbestrisiko besteht.

In der Praxis muss der Arbeitgeber sicherstellen, dass er sowohl die gesetzlichen Vorschriften zu Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, als auch die verordnungsrechtlichen Vorschriften, insbesondere zu Asbestrisiken in Bezug auf die Schulung und die verstärkte medizinische Überwachung der Arbeitnehmer einhält. Der Arbeitnehmer muss seinerseits eine Verletzung der Sicherheitspflicht und einen erlittenen Schaden nachweisen können, insbesondere durch die Vorlage ärztlicher Bescheinigungen.

Offenbleibt, ob diese Rechtsprechung auch auf andere Fälle ausgedehnt wird, bei denen Arbeitnehmer während ihrer Tätigkeit Gefahrstoffen wie Blei oder Kohlenwasserstoff ausgesetzt sind.

ARBEITSRECHT – Betriebliche Pflicht-Zusatzkrankenversicherung: Vorsicht bei Policen, die eine fakultative Mitgliedschaft für die Arbeitnehmer vorsehen

Seit dem 01.01.2016 müssen die Arbeitgeber für ihre Arbeitnehmer eine Gruppenversicherung abschließen, die gewissen Mindeststandards für die Übernahme von Gesundheitskosten genügen muss. Es empfiehlt sich, bezüglich der Einführung des Versicherungsschutzes und der Bedingungen für die Mitgliedschaft wachsam zu sein, da bei Nichtbeachtung bestimmter Regeln ein Nachzahlungsrisiko entsteht.

Die vom Arbeitgeber getragenen Versicherungsbeiträge sind nur dann von Sozialabgaben befreit, wenn:

  • eine Rechtsgrundlage für den Abschluss der Zusatzversicherung besteht (Betriebsvereinbarung oder einseitige Arbeitgeberentscheidung) und diese jedem Arbeitnehmer zur Kenntnis gebracht wurde;
  • der Versicherungsschutz kollektiv ist, d.h. alle Arbeitnehmer des Unternehmens oder eine objektiv bestimmbare Arbeitnehmerkategorie betroffen sind;
  • eine Pflicht zur Mitgliedschaft in dieser Versicherung besteht, d.h. alle Mitarbeiter müssen Mitglied werden, es sei denn, es besteht eine Möglichkeit zur Befreiung, die ausdrücklich in der Betriebsvereinbarung bzw. in der Arbeitgeberentscheidung vorgesehen ist;
  • die Versicherungspolice „verantwortlich“ ist, d.h. Mindest- und Höchstbeträge für die übernommenen Gesundheitskosten vorsieht.

Wenn die Sozialversicherungsbehörde URSSAF der Auffassung ist, dass diese Bedingungen nicht erfüllt sind, macht sich die Nachzahlung von Sozialabgaben auf die vom Arbeitgeber geleisteten Versicherungsbeiträge geltend. Über einen solchen Sachverhalt hat der Kassationshofs am 20.12.2019 entschieden (Cass. civ. 2e 20.12.2018, Nr. 17-26958 – Air France ./. URSSAF Provence Alpes Côte d’Azur).

Die URSSAF war der Ansicht, dass die Zusatzkrankenversicherung keinen verbindlichen Charakter hatte, da die zugrunde liegende Betriebsvereinbarung eine freiwillige Mitgliedschaft der Familienmitglieder der Arbeitnehmer vorgesehen hatte. Sie hat daher die Nachzahlung von Arbeitgebersozialabgaben auf alle vom Arbeitgeber gezahlten Versicherungsbeiträge gefordert.

Der Kassationshof hat die Auffassung der URSSAF trotz mehrerer Verwaltungsrundschreiben, die die Voraussetzungen anders interpretieren (Rundschreiben DSS/5B Nr. 2005-396 vom 25.08.2005, anwendbar auf die genannte Rechtssache; Rundschreiben Nr. DSS/SD5B/2013/344 vom 25.09.2005), bestätigt.

Da das richterliche Ermessen Vorrang vor einer Auslegung durch Verwaltungsrundschreiben hat, empfiehlt es sich, künftig sicherzustellen, dass, sollten auch Familienangehörige versichert werden können, in der Betriebsvereinbarung bzw. in der einseitigen Arbeitgeberentscheidung auch für Familienangehörige eine Pflichtmitgliedschaft vorgesehen ist.

ARBEITSRECHT – Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit

Mit einem Urteil vom 14.05.2019 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Hinblick auf das Grundrecht auf Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz und auf die täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten der Arbeitnehmer die Pflicht des Arbeitgebers zur Einführung eines Systems zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit bestätigt.

Der EuGH entschied in dieser Sache über eine Regelung des spanischen Rechts, welche lediglich die Erfassung von Überstunden durch den Arbeitgeber vorsieht. Das Gericht gelangte zu der Auffassung, dass die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber zur Einrichtung eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems für die Erfassung der  täglich geleisteten Arbeitszeit verpflichten müssen.

Darüber hinaus kann ein Zeiterfassungssystem im Falle eines Rechtsstreits den Beweis für die tatsächlich geleisteten Überstunden liefern. Das Arbeitsrecht sieht als Beweislastregel vor, dass sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer dem Gericht für seine Entscheidung alle Unterlagen und Informationen vorlegen müssen, die für den Nachweis der geleisteten Arbeitsstunden geeignet sind (Artikel L. 3171-4 des Arbeitsgesetzbuches).

WIRTSCHAFTSRECHT – Verordnungen EGALIM: Reform der Geschäftsbeziehungen zwischen Hersteller und Verkäufer

Mit der jüngsten Reform des französischen Handelsgesetzbuches wurden neue Bestimmungen über die Allgemeinen Verkaufsbedingungen eingeführt. Während die meisten Bestimmungen über Allgemeine Verkaufsbedingungen unverändert beibehalten wurden, gab es Lockerungen in Bezug auf den Inhalt und die Mitteilungspflicht.

I. Wirksamkeit von AGBs

Allgemeine Verkaufsbedingungen müssen weiterhin Zahlungsbedingungen sowie Informationen für die Preisermittlung enthalten, wie z.B. Listenpreise und Konditionen für mögliche Preisnachlässe. Die Bedingungen für den Verkauf müssen hingegen nicht mehr in den Allgemeinen Verkaufsbedingungen abgebildet werden. Der Lieferant kann diese selbstverständlich trotzdem in die Allgemeinen Geschäftsbedingungen aufnehmen.

Darüber hinaus gilt weiterhin der Grundsatz, dass Allgemeine Verkaufsbedingungen mitgeteilt werden müssen. Allerdings müssen sie nicht mehr wie bislang jedem Käufer mitgeteilt werden, sondern nur noch denjenigen Käufern, die diese im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit anfordern.

Mit der Reform des Handelsgesetzbuches wird bestätigt, dass es Gewerbetreibenden frei steht, Allgemeine Verkaufsbedingungen zu verwenden oder nicht. Allgemeine Verkaufsbedingungen sind jedoch weiterhin die Grundlage für Verkaufsverhandlungen.

Wird gegen die Pflicht zur Mitteilung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen verstoßen, kann dies mit einem Bußgeld in Höhe von bis zu 15.000 € für natürliche Personen und bis zu 75.000 € für juristische Personen geahndet werden.

II. Schriftliche Vereinbarungen

Die Bestimmungen des französischen Handelsgesetzbuches über schriftliche Vereinbarungen wurden ursprünglich geschaffen, um ein spezifisches Problem der wettbewerbsbeschränkenden Praktiken im Lebensmitteleinzelhandel in Frankreich zu lösen. Ziel war es, durch die Pflicht zum Abschluss von schriftlichen Vereinbarungen, verbunden mit Pflichten in Bezug auf Inhalt, Verhandlung und Form, mehr Transparenz in den Geschäftsbeziehungen und eine gewisse Lauterkeit im Geschäftsverkehr sicherzustellen.

Gewisse Bestimmungen gelten für alle schriftlichen Vereinbarungen zwischen einem Lieferanten und einem Händler oder Dienstleister aller Branchen (1). Für Vereinbarungen über Konsumgüter gelten die strengsten Bestimmungen (2). Unter bestimmten Voraussetzungen müssen auch mit Zulieferern schriftliche Vereinbarungen abgeschlossen werden (3).

Im Falle eines Verstoßes gegen die Bestimmungen über schriftliche Vereinbarungen kann nunmehr ein Bußgeld in Höhe von 75.000 € für natürliche Personen und von 375.000 € für juristische Personen verhängt werden. Die Aufsichtsbehörde kann solche Verstöße künftig selbst ahnden. Im Falle einer erneuten Zuwiderhandlung innerhalb einer Frist von zwei Jahren ab einem rechtskräftigen Bußgeldbescheid, kann ein Bußgeld in doppelter Höhe verhängt werden.

1. Gemeinsame Bestimmungen für alle schriftlichen Vereinbarungen zwischen Lieferanten und Händlern oder Dienstleistern

Schriftliche Vereinbarungen können eine Dauer von einem bis drei Jahren haben. Es kann ein einziger Vertrag oder ein Rahmenvertrag mit Durchführungsverträgen abgeschlossen werden. Sie müssen bis spätestens am 01.03. abgeschlossen werden, es sei denn, es besteht ein besonderer Vermarktungszyklus. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen müssen innerhalb einer angemessenen Frist vor Vertragsabschluss mitgeteilt worden sein. Mehrjährige Vereinbarungen müssen Regelungen über Preisanpassungen enthalten und ab dem 01.03.2020 den hier dargestellten, neuen gesetzlichen Bestimmungen genügen.

In den schriftlichen Vereinbarungen müssen alle Kriterien für die Bestimmung des Preises ausdrücklich festgelegt sein. Hierzu gehören auch Preisnachlässe (aufgrund von Mängeln oder verspäteten Lieferungen, Mengen- und umsatzabhängige Rabatte, etc.), Dienstleistungen, die der Händler oder Dienstleister dem Lieferanten zur Verkaufsförderung erbringt, sowie die anderen im Rahmen der Geschäftsbeziehung vereinbarten Pflichten.

Änderungen einer schriftlichen Vereinbarung bedürfen der Schriftform. Im Zusatz müssen die Gründe für den Abschluss einer Zusatzvereinbarung genannt werden.

2. Besondere Bestimmungen für schriftliche Vereinbarungen über Konsumgüter

Für Lieferanten und Vertreiber oder Dienstleister, mit Ausnahme von Großhändlern, wurden für Konsumgüter, d.h. kurzlebige und häufig nachgefragte Produkte, die Anforderungen verschärft. Die Liste dieser Produkte wird durch eine Verordnung festgelegt werden.

Für diese Produkte gelten strengere Regeln für die Mitteilung und den Inhalt der Allgemeinen Geschäftsbedingungen. In der Vereinbarung muss auf die Listenpreise Bezeug genommen werden, die Verhandlungsgrundlage waren, und der geschätzten Umsatz angeben werden (sowie die Bedingungen für Preisanpassungen bei einer mehrjährigen Vereinbarung).

3. Bestimmungen für Zulieferverträge

Wird ein Zulieferer mit der Herstellung von Produkten beauftragt, die der Käufer für seine eigene Produktion verwendet, und ist der Preis höher als 500.000 € muss eine schriftlichen Vereinbarung abgeschlossen werden, die Regelungen über den Preis, die Rechnungsstellung, die Zahlungsbedingungen und die Haftung der Parteien enthält.

III. Signifikantes Ungleichgewicht

Durch die Reform des Handelsgesetzbuches wurden die Bestimmungen über das signifikante Ungleichgewicht in Vertragsbeziehungen zwischen gewerblichen Geschäftspartnern geändert.

Diese Bestimmungen finden künftig nicht nur auf Vereinbarungen mit einem „gewerblichen Geschäftspartner“ Anwendung, sondern auch auf Verträge mit anderen Vertragsparteien. Deshalb können nunmehr alle unerlaubten Handelspraktiken gegenüber einer Vertragspartei sanktioniert werden.

1. Der Begriff des „signifikanten Ungleichgewichts“ im französischen Recht

Liegt ein signifikantes Ungleichgewicht vor, dann haftet die Vertragspartei für die unausgewogenen Vertragsbedingungen, die sie der anderen Partei aufgezwungen hat, bzw. für den Versuch, solche Bedingungen durchzusetzen (Artikel L. 442-1 des Handelsgesetzbuches). Die geschädigte Partei kann in diesem Fall einen Schadensersatzanspruch gegen die Partei, der das Ungleichgewicht zuzurechnen ist, geltend machen.

Bislang konnte die Klage vor dem zuständigen Zivil- oder Handelsgericht von jeder Person, die ein Antragsinteresse nachweisen konnte, von der Staatsanwaltschaft, vom Wirtschaftsminister oder vom Präsidenten der Wettbewerbsbehörde erhoben werden. Das Handelsgesetzbuch sieht nunmehr vor, dass jede Person mit Antragsinteresse eine Klage auf die Unterlassung solcher Praktiken und eine Schadensersatzklage erheben kann.

Das französische Handelsgesetzbuch enthält keine Liste unausgewogener Klauseln. Vielmehr obliegt es dem Richter, die streitige Klausel unter Berücksichtigung des Zwecks des Vertrages, des Sachverhalts und der Umstände zu überprüfen. Ein Indiz für ein signifikantes Ungleichgewicht ist das Fehlen von echten Vertragsverhandlungen (Cass. com. 03.03.2015, Nr. 13-27.525). Wird ein Standardvertrag verwendet, dessen Inhalt per se nicht verhandelbar ist, so ist das Risiko eines signifikanten Ungleichgewichts wesentlich höher.

Folgende Klauseln werden von der Rechtsprechung als unausgewogen erachtet: Klauseln über eine einseitige Preisänderung; Klauseln, die die automatische Anwendung günstigerer Bedingungen vorsehen, als die die Wettbewerbern eingeräumt werden; Klauseln, mit denen Risiken aufgrund der Tätigkeit auf den Lieferanten verlagern; Klauseln, die eine Kündigung aufgrund eines unzureichenden Verkaufsvolumens vorsehen; für die Branche ungewöhnliche Klauseln.

2. Der Begriff des „vertraglichen Ungleichgewichts“ im deutschen Recht

Definition und Rechtsfolgen eines signifikanten Ungleichgewichts sind Gegenstand von Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), das dieses definiert als eine „gegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessene Benachteiligung“ (§ 307 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches). Das BGB enthält, wie auch das französische Zivilgesetzbuch, zur Klarstellung eine Liste mit Klauseln, deren Unwirksamkeit vermutet wird, die sog. graue Liste, und eine Liste mit unwirksamen Klauseln, die sog. schwarze Liste (§ 308 und § 309 des Bürgerlichen Gesetzbuches). Soweit vom BGB nicht anders vorgesehen, gelten diese Bestimmungen für alle Vertragsbeziehungen, insbesondere auch für Verträge zwischen Händlern oder Verbrauchern.

Für Vertragsbeziehungen zwischen Unternehmen ist der Anwendungsbereich der deutschen Vorschriften jedoch beschränkt, so dass nur ein Teil der Bestimmungen und Listen Anwendung findet. Die Rechtsprechung ist dennoch der Auffassung, dass die Listen missbräuchlicher Klauseln einen entscheidenden Einfluss auf die Vertragsbeziehungen zwischen Unternehmen haben. Bestehen keine besonderen Umstände oder Handelsbräuche, welche die Verwendung einer der in den Listen genannten Klauseln rechtfertigen, so wird diese als unwirksam erachtet. Wird die Wirksamkeit einer Klausel bestritten, muss der Richter deshalb unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Branche entscheiden.

IV. Rechnungsstellung und Zahlungsfristen

Die Reform ändert die Bestimmungen über die Rechnungsstellung.

Verstöße gegen die Vorschriften über die Rechnungsstellung, die bisher strafrechtlicher Natur waren, können nun durch Bußgelder der Aufsichtsbehörde geahndet werden. Die Behörde kann ein Bußgeld in Höhe von bis zu 75.000 € für natürliche Personen und bis zu 375.000 € für juristische Personen verhängen. Im Falle einer erneuten Zuwiderhandlung innerhalb eine Frist von zwei Jahren ab dem ersten rechtskräftigen Bußgeldbescheid, kann das Bußgeld für natürliche Personen bis zu 150.000 € und für juristischen Personen bis 750.000 € betragen.

Die Bestimmungen über den Zeitpunkt der Rechnungstellung wurden vereinheitlicht. Sowohl das Handelsgesetzbuch als auch das Allgemeine Steuergesetzbuch sehen nunmehr vor, dass der Verkäufer unmittelbar nach der Lieferung bzw. der Leistungserbringung Rechnung stellen muss. Rechnungen müssen künftig zwei weitere Pflichtangaben enthalten, um die Zahlung zu beschleunigen und Zahlungsverzögerungen zu vermeiden:

  • die Rechnungsadresse der Parteien, sofern diese von ihrer Geschäftsanschrift abweicht;
  • die Bestellnummer, falls diese zuvor vom Käufer festgelegt wurde.

V. Brutale Beendigung von Geschäftsbeziehungen

Mit der Reform wird der Anwendungsbereich der Bestimmungen über die brutale Beendigung von Geschäftsbeziehungen mit dem Ziel neu definiert, die Zahl der Rechtsstreitigkeiten zu vermindern.

Ein wesentlicher Beitrag der Reform ist die Neufassung der Bestimmungen über die Kündigungsfrist, für deren Beachtung die kündigende Partei haftet. Es ist nunmehr vorgesehen, dass die andere Vertragspartei keinen Schadensersatzanspruch wegen einer zu kurzen Kündigungsfrist geltend machen kann, wenn der Kündigende eine Frist von 18 Monaten beachtet hat.

Diese Frist darf nicht als eine Höchstfrist verstanden werden. Wird eine Frist von weniger als 18 Monaten beachtet, dann kann der Richter durchaus entscheiden, dass die Kündigungsfrist länger als 18 Monate hätte sein müssen.

Es ist jedoch wahrscheinlich, dass die Rechtsprechung eine maximale Kündigungsfrist von 18 Monaten zugrunde legen wird, was dem Geist der Verordnung entsprechen würde.

Eine weitere Neuerung der Verordnung ist der Wegfall der Verpflichtung zur Verdoppelung der Kündigungsfrist im Falle von Lieferungen von Produkten unter einer Eigenmarke oder wenn der Vertrag aufgrund eines Online-Vergabeverfahrens gekündigt werden soll.

IMMOBILIENRECHT – Obergrenze bei Mieterhöhungen nach richterlich verfügter Mietanpassung

Mit einem Urteil vom 11.04.2019 hat der Kassationshof entschieden, dass zur Bestimmung der Obergrenze bei Mieterhöhungen die ursprüngliche und nicht die vom Richter verfügte Miethöhe Grundlage für die Indizierung der Miete sein muss.

Anlässlich der Verlängerung eines Mietvertrages, dessen Miethöhe während der Laufzeit gerichtlich angepasst wurde, wird nicht die geänderte Miete, sondern die ursprünglich vereinbarte Miete zur Berechnung der Mietpreisgrenze herangezogen. Zudem berechtigt eine gerichtlich Änderung nicht zur Aufhebung der Mietdeckelung.

Bei der Verlängerung eines Mietvertrages wird der Mietzins grundsätzlich basierend auf dem Mietwert festgelegt.

Unter gewissen Voraussetzungen kann der Mieter auch im Falle eines höheren Mietwerts trotzdem eine Mietdeckelung geltend machen. Die im verlängerten Vertrag vorgesehene neue Miete darf also nicht höher sein als die Miete während der Laufzeit des ursprünglichen Vertrags, die in Anwendung des von den Parteien vereinbarten Quartalsindex für Mietpreise ermittelt wurde, wie z.B. „ILC“ (Index für Gewerbe) oder „ILAT“ (Index für Büros). Für die Indizierung wird ein Zeitraum von neun Jahren vor dem zuletzt veröffentlichen Index zugrunde gelegt.

Während die Höhe der Miete bei Abschluss eines Gewerbemietvertrages frei von den Parteien vereinbart werden kann, ist eine Mietanpassung anlässlich einer Vertragsverlängerung streng geregelt. Eine solche Änderung unterliegt den Bestimmungen über Mietpreisgrenzen und über die Aufhebung von Mietdeckelungen.

Mietdeckelungen führten schon immer zu Streitigkeiten zwischen Mieter und Vermieter.

Im vorliegenden Fall wurde die in einem abgelaufenen Mietvertrag vorgesehene Miete durch Gerichtsurteil an den Mietwert angepasst und damit erhöht. Der Vermieter wollte erreichen, dass die gerichtlich festgelegte Miete als Grundlage für die Berechnung der Mietpreisgrenze herangezogen wird. Darüber hinaus hatte der Vermieter die Aufhebung der Mietdeckelung beantragt.

Der Kassationshof hat in seinem Urteil klargestellt, dass für die Mitdeckelung die ursprüngliche Miete und nicht die gerichtlich angepasste berücksichtig werden muss.

Der Kassationshof ist außerdem der Auffassung, dass gerichtliche Mietanpassungen aus Gründen, die nicht im Zusammenhang mit dem Mietvertrag stehen, zu keiner wesentlichen Änderung der Pflichten der Parteien führen, die deshalb keine Aufhebung der Obergrenze der Mietdeckelung geltend machen können.

Erfolgt eine gerichtliche Mietanpassung aus Gründen, die nicht im Zusammenhang mit dem Mietvertrag stehen, und wird die Miete auf den Mietwert erhöht, dann hat der Mieter anlässlich der Vertragsverlängerung Anspruch auf eine neue gedeckelte Miete, die niedriger ist als die gerichtlich angepasste Miete, die er vor der Verlängerung gezahlt hat.

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