Sonderausgabe LFA Covid-19 : Insolvenzrecht | 18.Mai 2020

Angesichts der Verbreitung des Coronavirus (Covid-19) stellen sich viele Unternehmen die Frage, welche Maßnahmen sie unter Beachtung der Sicherheitsmaßnahmen der französischen Regierung ergreifen können, um den Folgen eines Rückgangs oder einer Einstellung der Geschäftstätigkeit zu begegnen und/oder um die Kontinuität ihrer Geschäftstätigkeit zu gewährleisten.

Dieses Dokument enthält Antworten auf die Fragen, die uns von unseren Mandaten gestellt wurden, sowie unsere Antworten, die Ihnen gegebenenfalls ebenfalls weiterhelfen können.

Wir möchten Sie darauf hinweisen, dass die unten stehenden Antworten lediglich Ihrer Information dienen und unverbindlich sind. Es handelt sich um keine rechtliche Beratung, für die GGV Avocats – Rechtsanwälte haftet. 

Die nachstehenden Informationen werden regelmäßig entsprechend den Ankündigungen der Regierung sowie der Veröffentlichung von einschlägigen Gesetzen, Erlässen und Verordnungen angepasst. 

News Frankreich

  1. COVID-19 - Welche Veränderungen gibt es im Insolvenzrecht?
  2. Ist die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens während der COVID-19-Krise möglich?
  3. Wie sind die Verfahren zur Einleitung von Insolvenzverfahren während der COVID-19-Krise ausgestaltet?
  4. Wann befindet sich ein Unternehmen während der COVID-19-Krise im Zustand der Zahlungseinstellung?
  5. Werden die Verfahrensfristen verlängert?
  6. Unter welchen Bedingungen kann ein Unternehmen von den vom Solidaritätsfonds gewährten Garantien profitieren?

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COVID-19 - Welche Veränderungen gibt es im Insolvenzrecht?

Die COVID-19-Gesundheitskrise hat sehr schwere wirtschaftliche Folgen für die Unternehmen, die einen Rückgang oder sogar eine Einstellung ihrer Tätigkeit erleiden. Einige Unternehmen, insbesondere Bars, Restaurants und andere Geschäfte, sind wahrscheinlich bereits zahlungsunfähig, erzielen keine Umsätze mehr oder haben nicht mehr das Geld, um ihre Schulden zu begleichen.

In seiner Rede vom 16. März 2020 erklärte Präsident Macron, dass „kein Unternehmen dem Risiko der Insolvenz ausgesetzt sein wird“. 

Um Unternehmen in Schwierigkeiten zu unterstützen, verabschiedete die Regierung zunächst finanzielle und soziale Hilfsmaßnahmen. Diese Hilfe kann sich jedoch für eine große Zahl von Unternehmen, die sich bereits in einer Zahlungseinstellung oder in ernsthaften finanziellen Schwierigkeiten befinden und die ein Insolvenzverfahren zur Neuordnung benötigen, als unzureichend erweisen.

Das Notstandsgesetz Nr. 2020-290 vom 23. März 2020 zur Erklärung des gesundheitlichen Notstands im Zusammenhang mit Covid-19 ermächtigt die Regierung, alle Maßnahmen zu ergreifen, „um die Bestimmungen des Buches VI des Handelsgesetzbuches anzupassen, […] um den Folgen der Gesundheitskrise für die Unternehmen Rechnung zu tragen“.

Auf dieser Grundlage verabschiedete die Regierung die Verordnung Nr. 2020-341 vom 27. März 2020, um die Regeln für die insolvenzrechtliche Behandlung von Unternehmen in Schwierigkeiten während der Gesundheitskrise anzupassen. Der Zeitraum, der ursprünglich von 12. März bis einschließlich 23. Juni 2020 festgelegt wurde,  wurde kürzlich bis zum 10. Juli 2020 verlängert  (Gesetz Nr. 2020-546 vom 11. Mai 2020). Mit dieser Verordnung werden die Vorschriften über die Eröffnung neuer Insolvenzverfahren, die Verwaltung laufender Verfahren und die Organisation der Gerichte und Verfahrensorgane geändert.

Darüber hinaus wurden die Beihilfemaßnahmen durch den Erlass des Wirtschafts- und Finanzministers Nr. 2020-433 vom 16. April 2020 ergänzt, der darauf abzielt, die vom Solidaritätsfonds gewährte Garantieregelung auf bestimmte Unternehmen in Schwierigkeiten auszuweiten.

Ist die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens während der COVID-19-Krise möglich?

Während der COVID-19-Krise kann jedes Unternehmen, das sich in Schwierigkeiten befindet, das Gericht ersuchen, zu seinen Gunsten ein Insolvenzverfahren – Schutzmaßnahmen, Insolvenzverwaltung oder Liquidation – zu eröffnen. Es kann auch die Eröffnung eines Schlichtungsverfahrens beantragen, um die Zeitpläne vertraulich mit ihren Gläubigern auszuhandeln.

In allen Fällen kann nur das Unternehmen in Schwierigkeiten die Inanspruchnahme eines dieser Verfahren beantragen. Das bedeutet, dass die Einleitung eines Verfahrens zur Zwangsverwaltung oder Liquidation auf Antrag eines Gläubigers nicht möglich ist. 

Der Zweck dieses Mechanismus besteht darin, Unternehmen, die während der COVID-19-Krise in Schwierigkeiten geraten könnten, die Möglichkeit zu geben, mit ihren Gläubigern in Ruhe über Zahlungsfristen zu verhandeln.

Wie sind die Verfahren zur Einleitung von Insolvenzverfahren während der COVID-19-Krise ausgestaltet?

Insolvenzverfahren unterliegen normalerweise dem Mündlichkeitsgrundsatz, und das Unternehmen in Schwierigkeiten – bzw. sein gesetzlicher Vertreter – muss physisch bei der Anhörung erscheinen, um gehört zu werden.

Während der COVID-19-Krise werden die Gerichte jedoch wegen der Ausgangssperre geschlossen, und die Anhörungen werden annulliert und auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. 

Es stellt sich daher die Frage, wie Unternehmen in Schwierigkeiten die Eröffnung eines Insolvenz- oder Schlichtungsverfahrens beantragen können.

Die Verordnung sieht vor, dass das Handelsgericht mittels einer internetbasierten Zahlungseinstellungserklärung über die Website www.tribunaldigital.fr mit der Angelegenheit befasst werden kann.

Das Unternehmen in Schwierigkeiten kann dann seine Anträge formulieren. 

Das Handelsgericht kann auch vorsehen, dass Anhörungen per Videokonferenz abgehalten werden, um den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens und die Vertraulichkeit des Verfahrens zu wahren. Wenn es technisch oder materiell unmöglich ist, Videokonferenzen zu verwenden, kann die Anhörung mit jedem elektronischen Kommunikationsmittel, einschließlich Telefon, abgehalten werden.

Beispielsweise hat das Handelsgericht Paris seit dem 17. März 2020 dank der Verwendung einer Software, die die Vertraulichkeit der Verfahren gewährleistet, fast hundert dringende Fälle von Insolvenzverfahren per Videokonferenz erfolgreich bearbeitet. 

Dank der digitalen Technologie (www.tribunaldigital.fr) bietet das Gericht eine vollständige Reihe von Verfahren für den Umgang mit Unternehmen in Schwierigkeiten und für den Schutz der Arbeitnehmer.

Darüber hinaus kann die Kommunikation zwischen der Gerichtskanzlei und den Verfahrensorganen mit allen Mitteln erfolgen.

Wann befindet sich ein Unternehmen während der COVID-19-Krise im Zustand der Zahlungseinstellung?

Ein Unternehmen befindet sich in einem Zustand der Zahlungseinstellung, wenn es seine kurzfristigen Verbindlichkeiten nicht mehr mit seinem verfügbaren Vermögen erfüllen kann. Konkret bedeutet dies, dass das Unternehmen nicht mehr über das Barvermögen verfügt, um diese Schulden zu bezahlen. 

Während der COVID-19-Krise wird jedoch der Zustand der Zahlungseinstellung eines Unternehmens „ausgesetzt“. In der Tat legt die Verordnung fest, dass „der Stand der Zahlungseinstellung unter Berücksichtigung der Situation des Schuldners am 12. März 2020 zu beurteilen ist“. Der Zahlungsstopp der Unternehmen wird somit ab dem 12. März 2020 bis zum Ablauf einer Frist von drei Monaten nach dem Ende des Gesundheitsnotstands, der derzeit auf den 10. Juli 2020 festgelegt ist, eingefroren. 

In der Praxis bedeutet dies, dass ein Unternehmen für den Zeitraum vom 12. März bis zum
10. Oktober 2020 nicht als zahlungsunfähig angesehen wird, da seine finanzielle Situation am 12. März 2020 bewertet und bis zum Ende der COVID-19-Krise eingefroren wird. 

Auf diese Weise kann das Unternehmen in Schwierigkeiten bis zum 10. Oktober 2020 von den Maßnahmen und Verfahren zur Verhinderung von Schwierigkeiten (Ad-hoc-Mandat, Schlichtung, Schutzmaßnahmen) profitieren, auch wenn sich seine finanzielle Lage so verschlechtert, dass es sich in einem Zustand der Zahlungseinstellung befinden würde.

Dank dieser Maßnahme können Geschäftsführer von Unternehmen in Schwierigkeiten schneller an das Gericht herantreten, um im Rahmen eines Schlichtungsverfahrens Zahlungsstundungen auszuhandeln und Hilfe zu erhalten: Insbesondere können sie die Zahlung der Gehälter ihrer Mitarbeiter durch den Verband für die Verwaltung des Garantiefonds für Arbeitnehmeransprüche (AGS) erwirken. 

Werden die Verfahrensfristen verlängert?

Die meisten der normalerweise für Insolvenzverfahren geltenden Dauer und Fristen können angesichts der Aussetzung der Tätigkeit der Gerichte nicht eingehalten werden. Sie werden verlängert, entweder bis zum 10. August 2020, oder bis zum 10. September 2020.

Daher werden die folgenden Zeiträume und Fristen bis zum 10. September 2020 verlängert (sofern sie nicht geändert werden):

  • In Schlichtungsverfahren verlängert sich die Schlichtungsfrist, die im Prinzip vier Monate beträgt und um einen Monat verlängert werden kann, automatisch bis zum 24. August 2020; um den Verhandlungen maximale Chancen zu geben, ist es zudem möglich, bei Scheitern einer ersten Einigungssuche mehrere Schlichtungsverfahren nacheinander durchzuführen, ohne eine Wartezeit von 3 Monaten einhalten zu müssen.
  • Die Laufzeit der Schutz- oder Zwangsverwaltungsverfahren kann ebenfalls bis zum 24. August 2020 verlängert werden, es sei denn, eine längere Laufzeit oder eine Verlängerung wurde durch eine gerichtliche Entscheidung gewährt;
  • Alle Fristen, die in der Regel für die Aufgaben der Insolvenzverwalter und -bevollmächtigten gelten, können bis zum 24. August 2020 verlängert werden: ein einfacher Antrag des Insolvenzverwalters an das Insolvenzgericht reicht aus. Dieses wird dann von Fall zu Fall entscheiden;
  • Für Unternehmen, die Veräußerungs- oder gerichtlichen Liquidationsplänen unterliegen, werden auch die Frist für die Übernahme der Gehälter durch den AGS sowie die Garantiefristen verlängert. 

Darüber hinaus werden die folgenden Zeiträume und Fristen bis zum 10. August 2020 verlängert (sofern sie nicht geändert werden):

  • Bei der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens muss das Gericht in der Regel spätestens zwei Monate nach dem Eröffnungsbeschluss eine Zwischenanhörung abhalten, um über die Fortsetzung des Beobachtungszeitraums zu entscheiden: Da diese Frist nicht eingehalten werden kann, wird sie bis zum 10. August 2020 verlängert.
  • Die Dauer der laufenden Beobachtungszeiträume, Pläne, fortgesetzten Aktivitäten in der Zwangsliquidation und vereinfachten Zwangsliquidationsverfahren wird automatisch bis zum 10. August 2020 verlängert.

Unter welchen Bedingungen kann ein Unternehmen von den vom Solidaritätsfonds gewährten Garantien profitieren?

Unternehmen in Schwierigkeiten können auch finanzielle Unterstützung aus dem Solidaritätsfonds beantragen.

Diese Zuschüsse stehen allen Unternehmen zur Verfügung, unabhängig davon, ob es sich um natürliche oder juristische Personen handelt, die zu Steuerzwecken in Frankreich ansässig sind und eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, sofern sie die folgenden Bedingungen erfüllen:

  • Es darf sich am 1. März 2020 nicht in Zwangsliquidation befinden,
  • Das Unternehmen muss bestimmte Schwellenwerte einhalten, wie z.B. die Anzahl der Mitarbeiter und die Höhe des Umsatzes (z.B. weniger als 10 Mitarbeiter und ein Umsatz von maximal 1 Million EUR für das letzte Geschäftsjahr),
  • Das Unternehmen darf nicht von einer Handelsgesellschaft im Sinne von Artikel L.233-3 des französischen Handelsgesetzbuches kontrolliert werden.

Um für diese Subventionen in Frage zu kommen, muss das Unternehmen auch nachweisen, dass es eine Verfügung der Geschäftsschließung und den Verlust eines bestimmten Umsatzes erlitten hat. 

Schließlich muss der Beihilfeantrag bis zum 30. April, 31. Mai 2020 oder 30. Juni gestellt werden, je nachdem, zu welchem Zeitpunkt das Unternehmen das die Verfügung der Geschäftsschließung erhalten hat. Sie wird über das Internet durchgeführt.