Deutsch-Französischer Informationsbrief | Frühjahr 2024

In diesem zweisprachigen Informationsbrief möchten wir Sie über aktuelle rechtliche wie steuerrechtliche Entwicklungen in Frankreich informieren. Die deutsch-französischen Anwälte von GGV, die die verschiedenen Beiträge zu diese Brief verfasst haben, sind alle in der Beratung von Unternehmen in ihren grenzüberschreitenden Fragen spezialisiert.

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News Frankreich

  1. HANDELSRECHT – Klarere Regeln für zusammenhängende Verträge
  2. HANDELSRECHT – EPR-Sektoren: Aufhebung der Vorschrift über die Ernennung eines Bevollmächtigten und dessen Eintritt in die Pflichten des Herstellers
  3. CORPORATE – Verstärkung der Kontrolle ausländischer Investitionen in französischen Unternehmen
  4. CORPORATE – Start der Kampagne für die Genehmigung der Jahresabschlüsse 2023: Planen Sie die Besonderheiten dieses Jahres ein!
  5. RECHTSSTREIT – Die Entfernungsfrist gilt für ausländische Unternehmen, auch wenn sie in Frankreich durch einen Hauptbevollmächtigen vertreten werden
  6. RECHTSSTREIT – Die Preisfestsetzung in Dienstleistungsverträgen: Zurück in die Zukunft!
  7. ARBEITSRECHT – Erwerb von Urlaubsansprüchen und krankheitsbedingte Abwesenheit – Fortsetzung: Folgen 2 und 3
  8. ARBEITSRECHT – Zulässigkeit unrechtmäßig erlangter Beweismittel in Zivilsachen: Auswirkungen der geänderten Rechtsprechung durch die Plenarversammlung des Kassationsgerichtshofs
  9. ARBEITSRECHT – Neues Verfahren für das Angebot eines unbefristeten Arbeitsvertrags im Anschluss an einem befristeten Vertrag oder einem Leiharbeitsvertrag
  10. UMWELTSTRAFRECHT – Ausweitung der gerichtlichen Vereinbarung im öffentlichen Interesse auf Umweltstrafrechtsverletzungen

News Frankreich

HANDELSRECHT – Klarere Regeln für zusammenhängende Verträge

Der Kassationsgerichtshof präzisiert die nach der Schuldrechtsreform von 2016 geltenden Regeln.

Verträge gelten als zusammenhängend, wenn die Erfüllung mehrerer Verträge für die Durchführung ein und desselben Geschäfts notwendig ist. Im vorliegenden Urteil (Cass. Com. 10. Januar 2024, Nr. 22-20.466, veröffentlicht in der Entscheidungssammlung des Kassationsgerichtshofs) hatte ein Verein mit einer Finanzierungsgesellschaft einen Leasingvertrag ohne Kaufoption (sog. Mietfinanzierungsvertrag) für einen Kopierer geschlossen, die diesen Kopierer von einem Bürotechnikunternehmen gekauft hatte. Der Verein und das Bürotechnikunternehmen hatten gleichzeitig einen Vertrag über die Wartung des Kopierers abgeschlossen.

Nun stellt sich die Frage, was mit den anderen Verträgen geschieht, falls einer der Verträge des Vertragspakets wegfällt, hier der Wartungsvertrag.

Artikel 1186 Abs. 2 und 3 des französischen Zivilgesetzbuches bestimmt, dass Verträge, deren Erfüllung durch den Wegfall eines zum Vertragsverbund gehörenden Vertrags unmöglich gemacht wird, hinfällig werden. Dasselbe gilt für Verträge, bei denen die Erfüllung des weggefallenen Vertrags eine entscheidende Bedingung für die Zustimmung einer Partei war. In beiden Fällen tritt die Hinfälligkeit nur ein, wenn die Vertragspartei, gegen die sie geltend gemacht wird, bei ihrer Zustimmung von der Existenz des Gesamtgeschäfts Kenntnis hatte.

Der Kassationsgerichtshof bietet einige Klarstellungen, die die Anwendung dieser Regel vereinfachen.

Er bestätigt zunächst seine Rechtsprechung aus der Zeit vor der Reform. Danach sind bei zusammenhängenden Verträgen, die ein zusammenhängendes Geschäft bilden, das auch einen Mietfinanzierungsvertrag  beinhaltet, Klauseln nichtig, die mit dieser gegenseitigen Abhängigkeit unvereinbar sind. Im vorliegenden Fall enthielt der Leasingvertrag eine Bestimmung, die darauf abzielte, diesen Vertrag vom Wartungsvertrag unabhängig zu machen, den Verein aber gleichzeitig im Falle der Kündigung des ersten Vertrags zum Abschluss eines neuen Wartungsvertrags verpflichtete. Eine solche Teilbarkeitsklausel, nach der die einzelnen Verträge eigenständig seien, ist nichtig.

Der Kassationsgerichtshof ist außerdem der Ansicht, dass bei einem Geschäft, das einen Mietfinanzierungsvertrag  beinhaltet, die Finanzierungsgesellschaft bei ihrer Zustimmung notwendigerweise Kenntnis von der Existenz des Gesamtgeschäfts hatte. Der Leasingvertrag wird automatisch hinfällig, wenn ein anderer Vertrag im Zusammenhang mit dem Geschäft wegfällt, ohne dass bewiesen werden muss, dass die Finanzierungsgesellschaft Kenntnis von dem Gesamtgeschäft hatte.

Tipp von GGV: Bei zusammenhängenden Verträgen muss man sehr genau darauf achten, wie man vorgeht, um aus dem Vertragsverhältnis auszusteigen. Wenn man beispielsweise gleichzeitig den Leasingvertrag und den Dienstleistungsvertrag kündigt, wird der Leasingvertrag nicht hinfällig und die bei Kündigung des letztgenannten Vertrags fälligen Beträge werden geschuldet (CA Lyon, 3. Kammer A, 21. Dezember 2023, Nr. 20/05048).

HANDELSRECHT – EPR-Sektoren: Aufhebung der Vorschrift über die Ernennung eines Bevollmächtigten und dessen Eintritt in die Pflichten des Herstellers

Das französische Oberste Verwaltungsgericht (Conseil d’Etat) hat die Vorschrift, nach der ein in Frankreich niedergelassener Bevollmächtigter eines Herstellers in dessen Pflichten im Rahmen der erweiterten Herstellerverantwortung (Extended Product Responsibility, EPR) eintritt, für nichtig erklärt. (Conseil d’Etat, 10. Nov. 2023, Nr. 449213).

Das französische Dekret Nr. 2020-1455 vom 17. November 2020, in Deutschland mit einer Rechtsverordnung vergleichbar, fügte eine neue Bestimmung in das französische Umweltgesetzbuch, nämlich Artikel R.541-174, ein. Hiernach gilt:

  • Hersteller, die in einem EU-Mitgliedsstaat oder in einem Drittstaat ansässig sind, können eine in Frankreich niedergelassene natürliche oder juristische Person als Bevollmächtigten benennen, der die Erfüllung ihrer Pflichten im Rahmen der erweiterten Herstellerverantwortung sicherstellen soll,
  • der Bevollmächtigte tritt folglich in alle EPR-Verpflichtungen des Herstellers ein, dessen Mandat er angenommen hat.

Nach Ansicht des Obersten Verwaltungsgerichts entbehrt diese Einsetzung einer Rechtsgrundlage, sodass der Verordnungsgeber damit seine Zuständigkeit überschritten hat. Er erklärte das Dekret in diesem Punkt daher teilweise für nichtig.

Zwar ist nun die Möglichkeit für einen Hersteller, seine Verpflichtung zum Beitritt eines éco-organisme (privatwirtschaftliches Unternehmen, das die Pflichten der Hersteller und Inverkehrbringer gegen Zahlung einer Gebühr übernimmt) an einen Bevollmächtigten zu übertragen, nicht mehr im französischen Recht vorgesehen. Diese Vorschrift wurde jedoch lediglich aus einem technischen Grund (Fehlen einer einzelstaatlichen gesetzlichen Bestimmung) aufgehoben. Zudem stammt die Möglichkeit, einen solchen Bevollmächtigten zu benennen, aus dem europäischen Recht (Artikel 8 der Richtlinie 2008/98/EG vom 19. November 2008).

Daher ist es wahrscheinlich, dass die Regierung oder das Parlament bald reagieren werden, um im Bereich der erweiterten Herstellerverantwortung die Übereinstimmung mit der EU-Richtlinie wiederherzustellen.

CORPORATE – Verstärkung der Kontrolle ausländischer Investitionen in französischen Unternehmen

Für außereuropäische Investoren werden die derzeit geltenden Genehmigungspflichten bei mehr als 10 % der Stimmrechte an in Frankreich börsennotierten Unternehmen nunmehr dauerhaft eingeführt und auf französische Niederlassungen, sowie auf weitere sensible Wirtschaftssektoren ausgeweitet.

1. Kriterium des „sensiblen“ Wirtschaftssektors

Die Genehmigungspflichten betreffen ausschließlich Unternehmen, die in einem „sensiblen“ Wirtschaftssektor tätig sind. Bisher zählten hierzu unter anderem bereits die Rüstungsindustrie, der Glücksspielsektor, die Wasser- und Energieversorgung und der Betrieb von elektronischen Kommunikationsdiensten.

Der Anwendungsbereich dieses Kriteriums wurde erweitert und umfasst nun neue Aktivitäten, darunter:

  • solche mit wesentlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Sicherheit, der Verarbeitung, der Gewinnung oder des Recyclings kritischer Rohstoffe,
  • Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in den Bereichen Photonik und Energieerzeugungstechnologien mit geringem Kohlenstoffdioxidgehalt,
  • solche mit wesentlicher Bedeutung für die Sicherheit der Strafvollzugsanstalten.

2. Dauerhafte Verankerung der Kontrollmaßnahmen im französischen Währungs- und Finanzgesetzbuch (Code montétaire et financier)

Die Genehmigungspflichten bezüglich der direkten oder indirekten Überschreitung der 10 %-Schwelle der Stimmrechte in einem französischen börsennotierten Unternehmen, das in einem sog. „sensiblen“ Wirtschaftssektor tätig ist, waren ursprünglich nur bis zum 31. Dezember 2023 vorgesehen. Diese werden nun dauerhaft eingeführt und finden in Artikel R. 151-3, Abs. II Nr. 11 im Code montétaire et financière ihren Niederschlag.

3. Erweiterung der Kontrollmaßnahmen auf Niederlassungen

Neben der Kontrollübernahme einer nach französischem Recht gegründeten Gesellschaft ist nun auch die Kontrollübernahme einer im französischen Handels- und Gesellschaftsregister eingetragenen Niederlassung genehmigungspflichtig.

4. Rechtsfolgen einer nicht erfolgten Genehmigung

Jede Verpflichtung, Vereinbarung oder Vertragsklausel, die direkt oder indirekt eine ausländische Investition vorsieht, ohne zuvor im Rahmen der Kontrolle ausländischer Investitionen in Frankreich genehmigt worden zu sein, ist nichtig (Artikel L. 151-4 des frz. Währungs- und Finanzgesetzbuchs).

Weiterhin kann der Wirtschaftsminister eine Geldstrafe verhängen, deren Betrag maximal dem höchsten der folgenden Beträge entspricht: das Doppelte des Investitionsbetrags, 10 % des Umsatzes des Zielunternehmens oder 1 Mio. Euro für eine natürliche bzw. 5 Mio. Euro für eine juristische Person.

Tipp von GGV: Sollten Sie eine Operation mit außereuropäischen Investoren planen, lohnt sich ein Blick auf die verschärften Regelungen, um den Genehmigungsprozess ausreichend vorausplanen zu können.

CORPORATE – Start der Kampagne für die Genehmigung der Jahresabschlüsse 2023: Planen Sie die Besonderheiten dieses Jahres ein!

Die Kampagne für die Genehmigung der Jahresabschlüsse hat für alle Gesellschaften, die ihr Geschäftsjahr am 31. Dezember 2023 abgeschlossen haben, begonnen. Diese müssen nämlich ihre Jahresabschlüsse innerhalb von sechs Monaten nach Abschluss des Geschäftsjahres genehmigen, d.h. bis zum 28. Juni 2023, da der 30. Juni in diesem Jahr auf einen Sonntag fällt.

Die am 1. März 2024 in Kraft getretene Verordnung zur Anhebung der Schwellenwerte für die Definition der Kategorien von Gesellschaften und Gruppen (Kleinstunternehmen, kleine, mittlere und große Unternehmen) betrifft Jahresabschlüsse und Berichte, die sich auf die ab dem 1. Januar 2024 beginnenden Geschäftsjahre beziehen. Die Schwellenwerte betragen künftig 7,5 Mio. Euro Bilanzsumme, 15 Mio. Euro Umsatz vor Steuern und eine durchschnittliche Anzahl von 50 Mitarbeitern.

Um zu beurteilen, ob eine Gesellschaft verpflichtet ist, einen Geschäftsbericht zu erstellen, gelten daher in diesem Jahr noch die alten Schwellenwerte (6 Mio. Euro Bilanzsumme, 12 Mio. Euro Umsatz vor Steuern und durchschnittlich 50 Mitarbeiter).

In Bezug auf die Bestellung eines Abschlussprüfers muss die Situation der Gesellschaft wiederum anhand neuer Schwellenwerte beurteilt werden. Diese Schwellenwerte betragen nunmehr 5 Mio. Euro Bilanzsumme (vorher 4 Mio. Euro), 10 Mio. Euro Umsatz vor Steuern (vorher 8 Mio. Euro) und eine durchschnittliche Anzahl von 50 Mitarbeitern (unverändert). Eine Gesellschaft, die zum Zeitpunkt ihres Jahresabschlusses zum 31. Dezember 2023 die alten, aber nicht die neuen Schwellenwerte überschreitet, muss daher keinen Abschlussprüfer bestellen. Läuft das Mandat des Abschlussprüfers bei der Genehmigung des Jahresabschlusses für das am 31. Dezember 2023 endende Geschäftsjahr ab, muss die Frage der Erneuerung seines Mandats auch im Hinblick auf die neuen Schwellenwerte beurteilt werden.

GGV steht Ihnen gerne mit Rat und Tat zur Seite, wenn es um Fragen im Zusammenhang mit der Genehmigung Ihres Jahresabschlusses geht.

RECHTSSTREIT – Die Entfernungsfrist gilt für ausländische Unternehmen, auch wenn sie in Frankreich durch einen Hauptbevollmächtigen vertreten werden

Civ. 2e, 21.12; 2023, F-B, Nr. 21-21.140

Die Artikel 643 und 645 der französischen Zivilprozessordnung sehen eine Verlängerung der Verfahrensfristen („Entfernungsfrist“) für natürliche und juristische Personen mit Wohnsitz im Ausland vor. Diese Entfernungsfrist beträgt zwei Monate und gilt insbesondere für die Einlegung einer Berufung, das Erscheinen vor Gericht, die Übermittlung von Schriftsätzen, Einsprüche sowie die Einlegung einer Kassationsbeschwerde.

In seinem Urteil  vom 21. Dezember 2023 erläutert der Kassationsgerichtshof, was unter dem Begriff der „im Ausland ansässigen Person“ zu verstehen ist, für die die Entfernungsfrist gilt.

Im vorliegenden Fall war eine britische Versicherungsgesellschaft vor dem Bezirksgericht (Tribunal de grande instance) erschienen, wobei sie gemäß Artikel L. 362-1 des französischen Versicherungsgesetzes von einem Hauptbevollmächtigen vertreten wurde. Gegen das erstinstanzliche Urteil hatte die Gesellschaft fast drei Monate nach Zustellung des Urteils Berufung eingelegt. Sowohl der für den ordnungsgemäßen Ablauf des Gerichtsverfahrens zuständig Richter (Conseiller de la mise en état) als auch das Berufungsgericht Paris haben die Berufung als unzulässig abgewiesen, da sie verspätet eingelegt worden sei.

Die britische Versicherungsgesellschaft legte daraufhin eine Kassationsbeschwerde gegen dieses Urteil ein. Der Kassationsgerichtshof hob das Urteil des Pariser Berufungsgerichts auf mit der Begründung, dass die Versicherungsgesellschaft eine ausländische Gesellschaft sei und daher die Entfernungsfristen in Anspruch nehmen können müsse, auch wenn sie vor den französischen Gerichten durch einen in Frankreich ansässigen Hauptbevollmächtigen vertreten wurde. Das Berufungsgericht habe daher die von der Versicherungsgesellschaft eingelegte Berufung zulassen müssen.

Dieses Urteil vom 21. Dezember 2023 schützt also die prozessualen Interessen ausländischer Gesellschaften, da es den Begriff einer im Ausland ansässigen Person, für die die Entfernungsfrist gilt, erweitert.

RECHTSSTREIT – Die Preisfestsetzung in Dienstleistungsverträgen: Zurück in die Zukunft!

Wenn es eine aus der Reform des Vertragsrechts vom 10. Februar 2016 hervorgehende Bestimmung gibt, die nicht auf einhellige Zustimmung stößt, dann ist es Artikel 1165 des französischen Zivilgesetzbuchs über die Preisfestsetzung in Dienstleistungsverträgen.

Zur Erinnerung: Diese Vorschrift sieht vor, dass wenn die Parteien eines Dienstleistungsvertrags vor der Erfüllung ihrer vertraglichen Pflichten keine Einigung über den Preis erzielt haben, dieser vom Gläubiger festgelegt werden kann, wobei er im Falle einer Anfechtung die Höhe des Preises begründen muss.

Aus dem Urteil der für Handelssachen zuständigen Kammer des Kassationsgerichtshofs vom 20. September 2023 geht eindeutig hervor, dass der Kassationsgerichtshof von der neuen gesetzlichen Bestimmung nicht überzeugt ist und seine Rechtsprechung aus der Zeit vor der Verordnung zur Reform des Vertragsrechts zu bestätigen scheint. In dieser Entscheidung sind sowohl die Ausklammerung der Befugnis des Gläubigers, den Preis seiner Leistung einseitig festzulegen, als auch die Bekräftigung der Pflicht des Gerichts, den Preis ex officio zu bestimmen, eine Desavouierung des Gesetzgebers.

Cass. com., 20. Sept. 2023, Nr. 21-25386

Im vorliegenden Fall verklagte eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ein Kundenunternehmen auf Zahlung von Rechnungen für verschiedene Dienstleistungen. Nachdem das Gericht dem Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids nicht stattgegeben hatte, legte der Kläger beim Kassationsgerichtshof Kassationsbeschwerde ein, mit der Begründung, dass das Gericht gegen Artikel 1165 des Zivilgesetzbuchs verstoßen habe.

Nach Ansicht des Klägers hätte das Gericht die Zahlung der Rechnungen anordnen müssen, da die Gegenpartei, die bei der mündlichen Verhandlung nicht anwesend war, offensichtlich keine Anfechtung erhoben hatte.

Der Kassationsgerichtshof wies die Kassationsbeschwerde in zweifacher Hinsicht zurück.

Zum einen stellt er klar, dass dem Preis für das Honorar des Wirtschaftsprüfers eine Vereinbarung zwischen den beiden Parteien gemäß den geltenden berufsständischen Regeln – ähnlich wie bei Rechtsanwälten – zugrunde liegen muss. Das heißt der Wirtschaftsprüfer muss mit dem Kunden vor Annahme des Mandats eine schriftliche Honorarvereinbarung abschließen, in der insbesondere die Höhe bzw. die Art und Weise der Festlegung des Honorars für die voraussichtlich zu erbringenden Leistungen enthalten sind.

Aber wie verhält es sich angesichts der Möglichkeit des Gläubigers, das Honorar einseitig festzulegen, wenn es bei Vertragsabschluss nicht festgelegt und akzeptiert wurde?

Im Einklang mit seiner ständigen Rechtsprechung (aus der Zeit vor der Verordnung von 2016) entschied das Hohe Gericht, dass es im Falle einer Nichteinigung der Parteien über den Preis dem Gericht obliegt, den Preis festzusetzen. Der Kassationsgerichtshof bekräftigt entgegen den Vorgaben des Gesetzgebers eine doppelte Anforderung, nämlich erstens im Hinblick auf den Gläubiger, und zweitens im Hinblick auf das Gericht.

Da nach dem Gesetz jede Partei die für die erfolgreiche Durchsetzung ihrer Ansprüche erforderlichen Tatsachen beweisen muss[1], obliegt es somit dem Dienstleister (Kläger), die Höhe seiner Forderung nachzuweisen und zu diesem Zweck die Beweise vorzulegen, die es ermöglichen, den entsprechenden Betrag festzusetzen[2].

Schließlich kritisierte das Hohe Gericht das Tatsachengericht auf der Grundlage der Rechtsverweigerung.

Mit Verweis auf Artikel 4 des Zivilgesetzbuchs[3] weist der Kassationsgerichtshof das Tatsachengericht an – was so selten vorkommt, dass es einer Erwähnung wert ist – den Preis für die vom Kunden geschuldete Leistung selbst festzulegen, wenn hierüber Uneinigkeit besteht oder der Gläubiger die Höhe seiner Forderung nicht begründet.

[1] Art. 9 frz. Zivilprozessordnung.

[2] Cass. 1re civ., 18. Nov. 1997, Nr. 95-21161.

[3] Art. 4 Zivilgesetzbuch : „Ein Richter, der sich unter dem Vorwand des Schweigens, der Unklarheit oder der Unzulänglichkeit des Gesetzes weigert, ein Urteil zu fällen, kann wegen Rechtsverweigerung verfolgt werden.“

ARBEITSRECHT – Erwerb von Urlaubsansprüchen und krankheitsbedingte Abwesenheit – Fortsetzung: Folgen 2 und 3

Folge 2: Die Bestimmungen des Arbeitsgesetzbuches über den Erwerb von Urlaubsansprüchen waren Gegenstand einer Vorlage beim Verfassungsgericht. Dieses bejaht deren Verfassungsmäßigkeit.

Urteil 2023-1079 QPC vom 08.02.2024

Fünf Monate nachdem die Sozialkammer des Kassationsgerichtshofs entschieden hatte, dass Artikel L. 3141-5 Nr. 5 des Arbeitsgesetzbuchs – wonach bei krankheitsbedingter Abwesenheit nur dann Urlaubsansprüche erworben werden können, wenn die Abwesenheit auf eine Berufskrankheit oder einen Arbeitsunfall zurückzuführen ist und die Ansprüche auf ein Jahr begrenzt sind – gegen Europäisches Recht verstößt und deshalb nicht anwendbar ist (unseren Artikel zu diesem Thema finden Sie hier), hat der Verfassungsrat die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung bejaht.

Die Verfassungsrichter sind der Ansicht, dass Artikel L. 3141-5 Nr. 5 des Arbeitsgesetzbuchs weder gegen das Recht auf Gesundheit und Erholung noch gegen den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz in Bezug auf Arbeitnehmer verstößt, die wegen einer nicht berufsbedingten Krankheit abwesend sind.

Folge 3: Die Regierung hat der Nationalversammlung einen Gesetzesentwurf zur Änderung der Bestimmungen des Arbeitsgesetzbuches über den Erwerb von Urlaubsansprüchen vorgelegt.

Nachdem der Staatsrat seine Stellungnahme abgegeben hat (Stellungnahme vom 13.03.2024), hat die Regierung der Nationalversammlung einen Gesetzesentwurf zur Anpassung an das Recht der Europäischen Union vorgelegt.

Der Gesetzentwurf enthält folgende Änderungsvorschläge:

  • Die Begrenzung des Zeitraums auf ein Jahr für den Erwerb von Urlaubsansprüchen durch einen Arbeitnehmer, dessen Arbeitsvertrag aufgrund eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit ruht, fällt weg;
  • Ein Arbeitnehmer, der wegen einer nicht berufsbedingten Krankheit abwesend ist, erwirbt einen Urlaubsanspruch von 2 Werktagen (bzw. 1,66 Arbeitstagen) pro Monat, höchstens jedoch 24 Werktage (bzw. 20 Arbeitstage) pro Bezugszeitraum;
  • Ist ein Arbeitnehmer krankheitsbedingt nicht in der Lage, seinen Urlaub während des Urlaubszeitraums in Anspruch zu nehmen, kann er diesen während eines Übertragungszeitraums von 15 Monaten in Anspruch nehmen;
  • Der Arbeitgeber informiert den Arbeitnehmer bei Wiederaufnahme der Arbeit über die Anzahl der ihm zustehenden Urlaubstage und das Datum, bis zu dem er diese in Anspruch nehmen kann.

Diese Änderungen berücksichtigen somit die EU-Richtlinie von 2003 (jährlicher Urlaubsanspruch von mindestens 4 Wochen pro Jahr) sowie die Rechtsprechung des EuGH (maximale Übertragungsdauer für krankheitsbedingt nicht in Anspruch genommenem Urlaub: 15 Monate) und des Kassationsgerichtshofs (Beginn der Verjährung von Urlaubsansprüchen erst dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch geltend zu machen).

Änderungsvorschlag Nr. 44, vorgelegt am 15.03.2024

ARBEITSRECHT – Zulässigkeit unrechtmäßig erlangter Beweismittel in Zivilsachen: Auswirkungen der geänderten Rechtsprechung durch die Plenarversammlung des Kassationsgerichtshofs

Mit Urteil vom 22. Dezember 2023 (Nr. 20-20.648) hat die Plenarversammlung des Kassationsgerichtshofs entschieden, dass eine Partei in Zivilsachen berechtigt ist, unrechtmäßig erlangte Beweise vorzulegen, wenn dies das einzige ihr zur Verfügung stehende Mittel ist, um ihre Behauptung zu beweisen.

Unrechtmäßig erlangte Beweismittel sind solche, die entweder heimlich, also ohne das Wissen einer anderen Person, oder durch List, Planung oder Inszenierung erlangt wurden.

Bis zur Entscheidung der Plenarversammlung führte der Grundsatz der Rechtmäßigkeit der Beweismittel dazu, dass die Gerichte systematisch Beweismittel zurückwiesen, die ohne Wissen einer Partei erlangt worden waren.

Auf Anregung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hat der Kassationsgerichtshof diesen Ansatz revidiert und vertritt nun die Auffassung, dass das Recht auf Beweis die Vorlage eines Beweises rechtfertigen kann, der auf unrechtmäßige Weise erlangt wurde.

Die Zulässigkeit unrechtmäßig erlangter Beweismittel bleibt jedoch in zweierlei Hinsicht eingeschränkt, da der Eingriff in andere betroffene Rechte, wie das Recht auf Achtung des Privatlebens oder auf Wahrung von Geschäftsgeheimnissen, unerlässlich und im Hinblick auf das verfolgte Ziel verhältnismäßig sein muss.

Im Falle von unrechtmäßig erlangten Beweisen beurteilen die Gerichte der Hauptsache nun im Einzelfall und unter Berücksichtigung der verschiedenen Interessen, ob der betreffende Beweis notwendig und verhältnismäßig ist.

Die Sozialkammer des Kassationsgerichtshofs hat das Kriterium der Unerlässlichkeit eines auf unrechtmäßige Weise erlangten Beweises nun streng ausgelegt. In einem Urteil vom 17. Januar 2024 (Nr. 22-17.474) hat sie eine Tonaufzeichnung zurückgewiesen, die ein Arbeitnehmer von seinem Gespräch mit Mitgliedern des Ausschusses für Hygiene, Sicherheit und Arbeitsbedingungen heimlich angefertigt hatte, um sein angebliches Mobbing zu beweisen. Da der Arbeitnehmer aber über andere Beweismittel verfügte, war die Aufnahme für die Ausübung seines Beweisrechts nicht unerlässlich.

Sobald eine Partei über andere Beweismittel verfügt, um ihre Ansprüche nachzuweisen, werden heimlich oder durch List erlangte Beweise von den Gerichten also weiterhin von der Beweisaufnahme ausgeschlossen.

GGV rät daher Arbeitgebern, nur in Ausnahmefällen auf ohne das Wissen der Arbeitnehmer angefertigte Tonaufnahmen oder Videoüberwachung zurückzugreifen, um eine steigende Zahl rechtswidriger Praktiken im Unternehmen zu verhindern, und in der Betriebsordnung ein allgemeines Verbot von Video- und Tonaufnahmen festzuschreiben.

ARBEITSRECHT – Neues Verfahren für das Angebot eines unbefristeten Arbeitsvertrags im Anschluss an einem befristeten Vertrag oder einem Leiharbeitsvertrag

Seit dem 1. Januar 2024 muss ein Arbeitgeber ein besonderes Verfahren beachten, wenn er einem Arbeitnehmer mit einem befristeten Arbeitsvertrag oder einem Leiharbeitnehmer nach Vertragsende einen unbefristeten Arbeitsvertrag für eine identische oder ähnliche Tätigkeit anbietet. Lehnt der Arbeitnehmer das Angebot ab, muss der Arbeitgeber das Arbeitsamt („France Travail“, früher „Pôle Emploi“) darüber informieren.

Diese Pflichten sind im Gesetz Nr. 2022-1598 vom 21. Dezember 2022 vorgesehen. Die gesetzlichen Regelungen sind seit der Veröffentlichung einer Verordnung vom 28. Dezember 2023 und eines Erlasses vom 3. Januar 2024 anwendbar.

Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer vor Vertragsende in folgenden Fällen per Einschreiben mit Rückschein oder durch ein persönlich gegen Empfangsbestätigung übergebenes Schreiben das Angebot über den Abschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrags übermitteln:

  • Der Arbeitnehmer hat einen befristeten Arbeitsvertrag und der unbefristete Arbeitsvertrag betrifft eine identische oder ähnliche Tätigkeit, die für eine gleichlange Arbeitszeit mindestens genauso hoch vergütet wird, und ohne dass die Einstufung oder der Arbeitsort geändert werden.
  • Der Mitarbeiter ist Leiharbeitnehmer und der unbefristete Arbeitsvertrag betrifft eine identische oder ähnliche Tätigkeit, ohne dass der Arbeitsort geändert wird.

Lehnt der Arbeitnehmer den angebotenen unbefristeten Arbeitsvertrag ab, muss der Arbeitgeber „France Travail“ über eine eigens dafür eingerichtete Plattform darüber informieren.

Hat der Arbeitnehmer innerhalb eines Zeitraums von 12 Monaten zwei oder mehr Angebote für einen unbefristeten Arbeitsvertrag abgelehnt, die Stellen betreffen, die die oben genannten Bedingungen erfüllen, hat er, von Ausnahmefällen abgesehen, keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld.

GGV erinnert daran, dass der Arbeitgeber seit dem 1. November 2023 verpflichtet ist, Arbeitnehmer mit befristeten Arbeitsverträgen sowie Leiharbeitnehmer mit einer Betriebszugehörigkeit von mindestens sechs Monaten auf deren Wunsch über unbefristete Stellen zu informieren, die im Unternehmen zu besetzen sind. Diese Pflicht bezieht sich auf Stellen, die ihrer Qualifikation entsprechen (auch wenn sie nicht ähnlich oder identisch sind) und besteht unabhängig von den oben dargestellten Regelungen während der gesamten Dauer des Arbeits- bzw. Leiharbeitsverhältnisses.

UMWELTSTRAFRECHT – Ausweitung der gerichtlichen Vereinbarung im öffentlichen Interesse auf Umweltstrafrechtsverletzungen

Die jüngsten Gerichtsentscheidungen bestätigen gerichtliche Vereinbarungen im öffentlichen Interesse zwischen der Staatsanwaltschaft und Unternehmen, die wegen Umweltdelikten strafrechtlich verfolgt werden.

Die gerichtliche Vereinbarung im öffentlichen Interesse bei Umweltdelikten

Die gerichtliche Vereinbarung im öffentlichen Interesse ist ein verfahrensrechtliches Mittel, das es der Staatsanwaltschaft ermöglicht, mit strafrechtlich verfolgten juristischen Personen einen Vergleich abzuschließen. Das Gesetz vom 24. Dezember 2020 ermöglicht es der Staatsanwaltschaft, Unternehmen, die wegen Umweltdelikten verfolgt werden, den Abschluss einer gerichtlichen Vereinbarung im öffentlichen Interesse vorzuschlagen.

So kann der Staatsanwalt, solange die Verwaltungsklage noch nicht anhängig ist, einem Unternehmen, das wegen eines Umweltdelikts in den Fokus der Staatsanwaltschaft gerückt ist, eine Vereinbarung vorschlagen und ihm folgende Pflichten auferlegen :

  • Die Zahlung einer Geldstrafe im öffentlichen Interesse an die Staatskasse in Höhe von bis zu 30 % des durchschnittlichen Jahresumsatzes der letzten drei zum Zeitpunkt der Feststellung des Verstoßes bekannten Jahresumsätze;
  • Die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustands im Hinblick auf die gesetzlichen bzw. verordnungsrechtlichen Bestimmungen im Rahmen eines Programms zur Anpassung an die rechtlichen Bestimmungen. Ein solches Programm hat eine Dauer von höchstens drei Jahren unter erfolgt unter der Kontrolle der zuständigen Dienststellen des Umweltministeriums und der Dienststellen des französischen Amtes für biologische Vielfalt ;
  • Die Entschädigung der aus den begangenen Delikten hervorgegangenen ökologischen Schäden innerhalb eines Zeitraums von höchstens drei Jahren und unter der Kontrolle der oben genannten Behörden.

Damit eine gerichtliche Vereinbarung im öffentlichen Interesse anwendbar ist, müssen der Staatsanwalt und das Unternehmen die entsprechende Bestätigung durch das zuständige Gericht einholen.

Jüngste Gerichtsentscheidungen

Der Präsident des Erstinstanzlichen Gerichts Besançon bestätigte beispielsweise in seinen Entscheidungen vom 14. Dezember 2023 zwei gerichtliche Vereinbarungen im öffentlichen Interesse im Umweltbereich:

Die erste Vereinbarung wurde mit der SNCF Réseau abgeschlossen, die wegen drei Umweltdelikten im Departement Doubs angeklagt war: Bau bzw. Umgestaltung eines Grundstücks in einem Gebiet, für das ein Präventionsplan für natürliche Risiken gilt, unerlaubte Zerstörung des Lebensraums einer geschützten, nicht einheimischen Tierart sowie unerlaubte Ausübung einer Tätigkeit, die einem Gewässer oder der Wasserumwelt schadet.

Die zweite Vereinbarung wurde mit einem Unternehmen geschlossen, das wegen der Einleitung einer schädlichen Substanz in das Grund-, Oberflächen- oder Meerwasser sowie der Einleitung einer für Fische oder deren Nährwert schädlichen Substanz in Süßwasser oder einem der Fischzucht dienenden Gewässer angeklagt worden war.

Diese gerichtlichen Vereinbarungen im öffentlichen Interesse wurden auf der Website des Umweltministeriums veröffentlicht (https://www.ecologie.gouv.fr/convention-judiciaire-dinteret-public-cjip).

GGV informiert: Unternehmen, die sich als Bauherr oder Bauträger nicht an die geltenden Umweltvorschriften halten, können nicht nur verwaltungsrechtlich, sondern auch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Gegebenenfalls kann es für sie von Vorteil sein, mit der Staatsanwaltschaft zu verhandeln, um ihre Strafe zu verringern und ein Gerichtsverfahren zu vermeiden.